Werkzeuge der 1970er Jahre für 2030 Ziele

Verkehrlinienplan 1948

Sind wir in den 1970er Jahren stehengeblieben? Die meisten von uns denken gerne, dass sie modern denken und handeln. Wir schätzen die Demokratie. Wir unterstützen gleiche Rechte für alle. Wir sind tolerant und offen für neue Wege. Doch während sich sogar das Bürgerliche Gesetzbuch seit den 70ern drastisch verändert hat: Wenn es um Verkehrspolitik geht, kommen viele von uns nicht aus dem Denken der 1970er Jahre heraus.

Mir diesem Problem sind die BefürworterInnen der Verkehrswende jeden Tag konfrontiert. Wir wollen die Städte für die Menschen zurückerobern, indem wir die Nutzung von privaten Kfz reduzieren. Aber wann immer Vorschläge unterbreitet werden, die genau dies bewirken sollen, können viele von uns nicht über den Tellerrand der 1970er Jahre hinausdenken. Wir fragen uns sofort: Wo werden die Autos fahren, wenn sie hier nicht fahren können? Wie können Geschäfte ihre Lieferungen ohne große Lastwagen bekommen? Wie können AnwohnerInnen ihre Autos parken, wenn sie keinen Platz auf der Straße finden? Selbst VerkehrsaktivistInnen tun sich schwer, diese Denkweise zu überwinden. Und wenn Politik und Verwaltung auch nicht aus dieser Denke herauskommen, ist es keine Überraschung, dass der Verkehrssektor bei der Reduzierung seiner Kohlenstoffemissionen kläglich versagt.

Der jüngste Aufruhr über Bremens chronisch illegale Parkplätze auf den Bürgersteigen hat deutlich gemacht, wie sehr dies die Bemühungen von PolitikerInnen und BürgerInnen um eine Verkehrswende beeinträchtigt hat. Während Städte wie Amsterdam oder Oslo den Autoverkehr mit einer Reihe von Instrumenten erfolgreich reduzieren (einschließlich finanzieller Maßnahmen), indem sie das Parken im öffentlichen Raum weniger attraktiv machen, ist Bremen an den alten deutschen Gesetzen hängengeblieben, die zum Beispiel Bussgelder in Anwohnerparkplätzen ohne entsprechende Genehmigung auf 30 € begrenzen (Dieses Gesetz wird sich bald ändern).

Es ist allgemein anerkannt, dass Städte wie Bremen eine wichtige Rolle spielen, wenn Europa seine Treibhausgasemissionsziele erreichen will. Und es ist bekannt, dass der Verkehr heute fast der einzige Bereich menschlicher Aktivitäten ist, der nun endlich mit einer richtigen Verkehrswende seinen Beitrag leisten muss.

Bremens AktivistInnen und PolitikerInnen, die versuchen, einen solche Verkehrswende zu erreichen, einschließlich der Verkehrssenatorin der Grünen selbst, stellen fest, dass ihre politischen Initiativen regelmäßig abgelehnt, erstickt oder radikal verwässert werden. Es überrascht nicht, dass politische Gegner (und auch KoalitionspartnerInnen), die ein Interesse daran haben, die Dominanz der fossilen Brennstoffe aufrechtzuerhalten, eine solche Oppositionsgruppe bilden. Aber es gibt noch eine andere, ebenso starke Bremse für die Verkehrswende in der Stadt. Einige würden es „das Gesetz“ nennen, wie es sich in der deutschen Straßenverkehrsordnung (StVO) und den Straßengesetzen (StrG) niederschlägt. Und in der Praxis wird die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass neue Verkehrsvorschläge mit der StVO gut zusammenpassen, in Bremen vom Amt für Straßen und Verkehr (ASV) wahrgenommen.

Trotz regelmäßiger Überarbeitungen basiert die StVO im Kern immer noch auf dem Paradigma der 1970er Jahre, dem Paradigma „Sicherheit und Ordnung“ des (motorisierten) Verkehrs. Auch die Straßengesetze (StrG), die von den Ländern beschlossen werden, enthalten Bestimmungen wie z.B. die Forderung, „die Straßen entsprechend den regelmäßigen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmer zu bauen, zu erweitern, zu verbessern und instand zu halten“. Wenn es sich dabei um AutofahrerInnen handelt, ist sofort klar, welchem Verkehrsträger der Großteil des Straßenraums gewidmet wird. Die Beamten, die für die Einhaltung der Anforderungen zuständig sind, geben diesem Ziel daher natürlich Vorrang. Und hier haben die BefürworterInnen einer Verkehrswende ein Problem.

Kreuzstraße in Bremen: modaler Filter

Versuchen Sie mal, die auto-verkehrsreichen Bremer Straßen zum Vorteil der AnwohnerInnen zu beruhigen. Wie können wir den motorisierten Verkehr in Wohngebieten wie dem Viertel oder Schwachhausen reduzieren? Zwei Ansätze werden weithin als erfolgreich anerkannt, solange sie mit qualitativ hochwertigen Alternativen wie Car-Sharing, öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrradinfrastruktur kombiniert werden. Der eine ist die fortschreitende Reduzierung der Parkplätze. Amsterdam und Oslo verringern mit diesem Ansatz erfolgreich das Verkehrsaufkommen. Der andere ist, den Durchgangsverkehr durch ein Netz von Einbahnstraßen oder durch die Errichtung physischer Barrieren weniger bequem zu machen. Bremen selbst hat in den 1980er Jahren ein solches System im so genannten Viertel umgesetzt und Straßen wie Kreuz- und Bleicherstraße beruhigt.

Seitdem sind jedoch kaum Fortschritte erzielt worden. Das System der Einbahnstraßen – kombiniert mit der Möglichkeit als Fahrradfahrerin gegen die Richtung der Einbahnstraße zu fahren – wurde in den 1980er Jahren durch eine erfolgreiche Kombination eines neu gegründeten und radikalen ADFC und eines hoch motivierten Mitglieds der Bremer Verwaltung in der Person von Klaus Hinte eingeführt. Hinte führte zwei neue Verkehrsformen ein, die bis heute überlebt haben – die Fahrradstraße und das Gegen-die-Richtung-Radfahren in Einbahnstraßen. Diese Neuerungen waren jedoch auf relativ ruhige Wohnstraßen beschränkt. Der in den 1980er Jahren eingeführte Verkehrsplan für das Viertel behielt die Rolle der für den Durchgangsverkehr vorgesehenen Straßen bei und stärkte sie sogar. Was die Reduzierung der Anzahl der Parkplätze betrifft, so wird dieses Thema an anderer Stelle in diesem Blog gut behandelt. Es wurde wenig getan.

Hauptverkehrsstraßen 2020

Warum dies der Fall ist, wird im aktuellen Verkehrsentwicklungsplan der Stadt erklärt. Lobenswerte Ziele wie die Erhöhung der Zahl der Radfahrenden, die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und die Erleichterung durch verbesserte Gehwege für FußgängerInnen stehen neben einem Hauptziel für motorisierte Fahrzeuge – die Verbesserung der Anbindung des „Wirtschaftsverkehrs“. Es ist interessant, dass der Begriff „Wirtschaftsverkehr“ verwendet wird. Ich kenne keine Infrastruktur in Bremen, die ausschließlich für den „gewerblichen Verkehr“ unter Ausschluss aller anderen Kraftfahrzeuge existiert. Tatsächlich wird der Begriff benutzt, um den Interessen derer gerecht zu werden – bspw. der Handelskammer, der FDP, des ADAC -, die argumentieren, dass jedes Hindernis für den Wirtschaftsverkehr ein Hindernis für die Wirtschaft ist. Aber in Wirklichkeit geht es um den gesamten motorisierten Verkehr.

Deshalb müssen die „Schlüsselkorridore“ für den Kfz-Verkehr geschützt werden. Diese Straßen sind im Verkehrsentwicklungsplan zweckmäßig angelegt. Von der Bundesstraße bis zur Hauptverkehrsstraße haben sie eine wichtige Funktion, um den motorisierten Verkehr frei fließen zu lassen.

Als der (auch) zuständige Beirat Mitte 2016 versuchte, den Verkehr auf dem Sielwall durch den Vorschlag einer teilweisen Einbahnstraße zu reduzieren, wurde dieses vom ASV u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass der Sielwall eine Hauptverkehrsstraße sei.

Glücklicherweise werden nun die Regeln rund um das Parken sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene in Frage gestellt. Die Bußgeldobergrenze von 30 Euro wird bald der Vergangenheit angehören. Aber der freie Verkehrsfluss auf den verschiedenen Fernstraßen und Hauptverkehrsstraßen scheint wie in Beton gegossen zu sein und wird auch weiterhin jede Bewegung in Richtung einer Verkehrswende verhindern. Da verschiedene Gemeinderäte und NGOs an Plänen für bestimmte Straßen oder Stadtteile arbeiten, werden sie ständig durch dieses veraltete Paradigma blockiert. Es gibt jedoch eine Lösung. Bremen braucht einen neuen Verkehrsplan, einen Zirkulationsplan, der die Umsetzung einer Verkehrswende unterstützen und nicht behindern soll. Das System der Haupt- und Fernstraßen muss durch einen Verkehrsentlastungsplan ersetzt werden, der eine Reihe bereits verfügbarer Maßnahmen identifiziert und umsetzt.

Die Schlüsselelemente eines solchen Plans sind bereits gut bekannt. Die geplante Fertigstellung der A281 beispielsweise, die die Stadt und ihre Umgebung vollständig umrundet, führt jedes Argument für den Durchgangsverkehr in die Stadt und aus der Stadt heraus ad absurdum. Und eine Behinderung des Durchgangsverkehrs würde zu einer dramatischen Verringerung der Auto-Verkehrszahlen führen.

Die Zahlen sind seit fast 20 Jahren bekannt. Eine Bürgerinitiative, die auch an dem Planungsbeirats Remberti-Kreisel aus dem Jahr 2001/2 beteiligt war, zählte den Auto-Verkehr auf dem Rembertiring und stellte fest, dass nur 30 % des Verkehrs auf dem Rembertiring stadtgebunden waren, die restlichen 70 % nutzten die Hochstraße, um weiter entfernte Gebiete, einschließlich des Autobahnnetzes, zu erreichen. Ein Zirkulationsplan jedoch, der es unmöglich macht, durch die Stadt hindurch zu fahren, sondern nur in die Stadt hinein und auf demselben Wege wieder raus, würde zu einer erheblichen Verringerung des Stadtverkehrs führen.

Ebenso ist der Grund dafür, dass so viele Lastwagen den Osterdeich nutzen, weil er eine billigere Alternative zur Autobahn ist, auf der für Lastwagen eine Maut erhoben wird. Die Lösung? Machen Sie den Osterdeich zu einer noch teureren Mautstraße für Lastkraftwagen als die Autobahn.

Gent Zirkulationsplan

Notwendig wäre es aber auch, das Liefersystem in Bremen zu modernisieren, um innerstädtische Lieferungen per Lastwagen oder Lieferwagen zu verringern. Ein Mittel wäre, die Einführung eines Netzes von Güterumladestationen rund um die Stadt vom Lastwagen auf das Lastenfahrrad, wie es Oslo gerade umsetzt.

Wenn der Autoverkehr in der Stadt abnimmt, können Straßen wie Sielwall, Humboldtstraße, Lahnstraße und Parkallee, allesamt derzeitige oder geplante Fahrradstraßen, im Gegenzug für Radfahrer sicherer gemacht und sogar für den durchgehenden Autoverkehr gesperrt werden. Bremens notorisch schwacher Fahrradstraßenstandard könnte dann endlich zu einem wirklich sicheren Mittel zur Förderung des Radverkehrs aufgewertet werden.

Ein solcher Zirkulationsplan muss klare Wege zur Reduzierung des Autoverkehrs in der Stadt bieten, nicht einfach NIMBY-Vorschläge für eine Straße oder einen Bezirk, die den Verkehr in andere Bereiche verlagern. Weniger Autoverkehr erfordert jedoch eine Verlagerung vom Auto und Lastwagen hin zum Fahrrad, Zufußgehen und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Das kann nur dann erreicht werden, wenn die Nutzung eines Autos oder Lastwagens weniger direkt, bequem und attraktiv und auch teurer als die umweltfreundlicheren Alternativen wird.

Beispiele für verkehrsfreundliche Zirkulationsspläne existieren bereits. In der Stadt Gent in Belgien hat der motorisierte Verkehr aus den Wohngebieten Zugang zum Stadtzentrum und wieder zurück, aber nicht auf die andere Seite. Wer auf die andere Seite der Stadt fahren möchte, muss zuerst auf den Stadtring hinausfahren und dann um die Stadt herum fahren. Und die niederländische Stadt Groningen hat bereits 1977 einen Zirkulatonsplan aufgestellt. Hier ist die Innenstadt in vier Sektoren unterteilt. Jeder Sektor ist mit dem Auto erreichbar. Aber kein Autofahrer kann direkt von einem zum anderen fahren.

Ein ähnlicher Plan für Bremen ist eindeutig machbar, noch bevor die A281 fertig ist – der fehlende Tunnel unter der Weser bietet eigentlich nur eine direktere Route für den Autobahnverkehr von Bremerhaven aus in Richtung Westen. Eine Umfahrung der Stadt über das bestehende Autobahnnetz ist bereits jetzt durchaus machbar.

So ein Zirkulationsplan wird erhebliche Arbeit erfordern und wahrscheinlich nicht fertig sein, bevor der aktuelle Verkehrsentwicklungsplan 2025 seinen Lauf nimmt. Aber die Arbeiten müssen jetzt beginnen. Wenn nicht, wird jede einzelne Initiative, die Stadt in Richtung einer Verkehrswende zu bewegen, auf die Mauer des Denkens der 1970er Jahre stoßen.