Wer sich um Verkehrspolitik kümmert, wird zwangsläufig immer wieder mit dem Thema Sicherheit konfrontiert. Mit Sicherheitsargumenten werden Radwege abgelehnt, aus genau dem Grund werden sie gefordert. Fahren im Mischverkehr wird von Einigen aus Sicherheitsgründen empfohlen und von Anderen vehement abgelehnt.
Beim Fahrradfahren geht es um sogenannte objektive Sicherheit versus subjektivem Komfortgefühl, in den Niederlanden wird eine „nachhaltige Sicherheit“ empfohlen, Kopenhagen setzt vorrangig auf „subjektive Sicherheit“. Und jetzt kommt auch noch der/die/das „Protected Bike Lane“(zu Deutsch: Geschützte Radfahrstreifen) als neue Variante. All dies ist schon ziemlich verwirrend und bedarf der dringenden Klärung.
Worum geht es hier eigentlich? Wer sagt was und warum?
Gibt es eigentlich so etwas wie „objektive Sicherheit“?
Nein, das gibt es nicht und sollte auch nicht so genannt werden. Vielmehr wird Sicherheit immer nur als relative Sicherheit existieren können, „als relativer Zustand der Gefahrenfreiheit (..), der stets nur für einen bestimmten Zeitraum, eine bestimmte Umgebung oder unter bestimmten Bedingungen gegeben ist. “ Somit ist Sicherheit orts- und zeitabhängig, ist abhängig von der Wahrnehmung des Problems, der Datenerhebung und der allgemeinen Herangehensweise der Untersuchung.
In der Verkehrspolitik, insbesondere, wenn es um Fahrradfahren geht, werden die Begriffe „objektive“ und „subjektive“ Sicherheit verwendet und sogar gerne gegeneinander ausgespielt. „Während die objektive Sicherheit die statistisch und wissenschaftlich nachweisbare Sicherheit meint (beispielsweise in Bezug auf Unfalldaten), meint die subjektiveSicherheit die ‚gefühlte‘ Sicherheit.“ Einige versuchen, mit der objektiven Sicherheit das Fahrbahnfahren zu begründen. Diese Grundhaltung führt auch dazu, dass heutzutage gerne Radwege zurückgebaut oder gar nicht erst eingerichtet werden.
Das Lieblingsargument für das Führen des Radwegverkehrs auf der Fahrbahn wird erstaunlicherweise auch von höchster verkehrspolitischer Stelle in Bremen vorgetragen: „Radfahrer haben immer das Recht, auf der Straße zu fahren. Es ist sicherer auf der Straße, das wissen viele nicht“, so der ehemalige Bremer Verkehrssenator Lohse (Bündnis 90/ Die Grünen) in einem Interview mit Radio Bremen am 12. Dezember 2018. Radio Bremen zitiert ihn weiter: Gerade beim Abbiegen von Autos über einen Gehweg käme es zu vielen Unfällen mit Radfahrern.
Und wie ist das gleich mit der „subjektiven Sicherheit“?
Weil es also zu Konflikten mit AutofahrerInnen beim Abbiegen kommt, wird flugs der gesamte Radweg als unsicherer bezeichnet als das Radeln im Mischverkehr mit den Autos. Und hier kommt das subjektive Komfortgefühl ins Spiel: Die meisten FahrradfahrerInnen
finden das Radeln im Mischverkehr höchst ungemütlich, sie fühlen sich subjektiv unsicher. „Sicherheit für den Menschen bezeichnet nicht nur objektive Gefahren- oder Risikofreiheit wie z. B. eine geschützte Unterbringung mit einer gewährleisteten Versorgung aller Bedürfnisse, sondern auch die subjektive Empfindung der Geborgenheit, unabhängig davon, ob sie zutrifft.“
Die Unfallforschung der Versicherer bringt es auf den Punkt. In ihrer Studie zum Verkehrsklima 2010 führen sie aus: „78 % der Radfahrer fühlen sich auf separaten Radwegen sicher oder sehr sicher (..). 46 % der Radfahrer stuft die Nutzung eines gemeinsamen Fuß- und Radweges als sicher oder sehr sicher ein. Im Gegensatz zu den Fußgängern rangiert diese Infrastruktur bei Radfahrern an zweiter Stelle. Weniger sicher wird das Fahren auf der Fahrbahn auf einem gemeinsam mit dem Autoverkehr geführten Radstreifen empfunden. In einer solchen Situation fühlen sich nur 14 % der Radfahrer sicher oder sehr sicher. Noch riskanter wird das Fahren auf der Fahrbahn ohne Radfahrstreifen wahrgenommen. Nur 10 % der Radfahrer fühlen sich dort sicher oder sehr sicher. Damit ist dies die am wenigsten bevorzugte Infrastruktur von Radfahrern. Unterschiede in Alter und Geschlecht konnten nicht nachgewiesen werden.“
Ich als Frau muss immer schmunzeln, weil typischerweise an dieser Debatte fast nur Männer teilnehmen. Und siehe da, eine Frau publiziert im ADFC-Blog eine ganze andere Sichtweise: „Seit etwa 20 Jahren – solange bin ich im ADFC – höre und lese ich immer wieder, Radfahren auf der Straße sei sicherer als auf einem Bordstein-Radweg. Und: Diese Tatsache sei durch Studien belegt. (…)Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich diese Studien jetzt erstmals las und darin nirgends einen klaren Beleg für das allgegenwärtige ADFC-Mantra ‚Die Straße ist sicherer‘ fand.“
Ihr „Fazit: Die Aufhebung von Benutzungspflichten ist vielleicht ganz nett, sie bringt aber
herzlich wenig für die objektive Verkehrssicherheit. Und sie bringt gar nichts für die gefühlte Sicherheit, die darüber entscheidet, ob mehr Menschen Radfahren oder eben nicht. Wenn man mehr Radverkehr will, muss man an ganz anderen Stellen ansetzen. Bessere Radwege zum Beispiel: Breiter, schöner, angenehmer. Radwege, auf denen jeder gern fährt – sogar die Mantra-Sänger.“ Und sie steht nicht alleine, Rachel Aldred, in der wissenschaftlichen Fahrrad-Community eine angesehene Forscherin, schreibt Ähnliches.
Auslöser der Debatte: das Schnüll-Gutachten von 1992
Oft vergessener Hintergrund dieser Pro-Fahrbahn-Argumentation, wie sie leider auch der ehemalige Grüne Bremer Verkehrssenator vorbringt, ist eine Studie aus dem Jahre 1992, das so genannte Schnüll-Gutachten. Kaum jemand der „Fahrbahnfreunde“ hat es gelesen, es ist vergriffen (und auch nicht digitalisiert), gerne wird stattdessen eine Pressemitteilung des ECF (European Cyclists’ Federation) herangezogen, und aufgrund der fehlenden Information über ihre Inhalte wird die Studie aus Hannover weitgehend fehlinterpretiert.
Schnüll et al. konstatieren auf S. 236 u.a., dass an Einmündungen von Erschließungsstraßen, insbesondere an Knotenpunkten ohne Lichtsignalanlagen (Ampeln), die „Unfallgefährdung für geradeausfahrende Radfahrer bei Führung auf der Fahrbahn oder auf Radfahrstreifen erheblich geringer als bei Führung auf Radwegen mit
Radfahrfurten“ sei.
Das Gutachten kann auch ganz anders gelesen werden
Aber sie sagen auch an selber Stelle (S. 236): „Allerdings lässt sich aus dem Ergebnis nicht schließen, die Führung auf der Fahrbahn oder auf Radfahrstreifen sei generell sicherer als die auf Radwegen.“
Exakt dieser entscheidende Satz wird aber von den BefürworterInnen des Fahrbahnradelns nicht zitiert. Das muss dann wohl selektive Wahrnehmung genannt werden.
Die VerkehrsforscherInnen aus Hannover haben folgerichtig nicht die Abschaffung der Radwege empfohlen, sondern diverse Verbesserungsvorschläge für die bestehende Radwegführung gemacht. Einer davon ist die Hochpflasterung der Radwege an Einmündungen: „Durch Teilaufpflasterungen in den Einmündungsbereichen, über die die Radwege hinweggeführt werden, kann die Unfallquote gegenüber der von Radfahrfurten
deutlich reduziert werden.“ (S. 237).
Dramatische Folgen der selektiven Auslegung des Schnüll-Gutachtens
Letztendlich hat die Auslegung dieses Gutachtens eine folgenschwere Debatte, wenn nicht sogar Feindschaft zwischen FahrradaktivistInnen befeuert. Und es hat dazu geführt, dass es plötzlich moderner erschien, den Fahrradverkehr auf der Fahrbahn zu führen als auf den „Hochbordradwegen“.
Diese Tendenz zeigt sich leider auch im Bremer Verkehrsentwicklungsplan 2025 (VEP). Hier steht einerseits, dass die vorhandenen Radverkehrsanlagen „an vielen Stellen zunehmend an ihre Grenzen und [stoßen und] nicht zukunftskompatibel“ seien (VEP, Seite 68).
Andererseits erkennt der VEP auch, dass die Bremer gerne auf den Radwegen radeln denn es bestehe „eine hohe Akzeptanz der baulichen Radwege, auch ohne Benutzungspflicht“. Weiter wird ausgeführt: „Als Erklärung ist – auch vor dem Hintergrund vieler Gespräche und Diskussionen während der Bürgerforen und Regionalausschüsse zu dieser Frage – vor allem die subjektive Wahrnehmung einer höheren Sicherheit und eines größeren Wohlbefindens für die Nutzung der baulichen Radwege zu erkennen.“ (VEP, S. 68) (Interessanterweise sind die beiden letzten Sätze in der englischen Version des VEP nicht enthalten.)
Letzteres scheint jedoch von der Verwaltung und Politik ignoriert zu werden, denn die Fahrbahn freundliche Haltung hat in Bremen dazu geführt, dass Fahrradstraßen ausgewiesen wurden, die diesen Namen wahrlich nicht verdienen, dass so genannte „Schutz“-Streifen auf Fahrbahnen gepinselt wurden, die liebend gerne von AutofahrerInnen zu Parkplätzen umgenutzt werden, und Radwege nicht saniert oder modernisiert, dafür aber zum Parken frei gegeben wurden.
Und am Ende rieben sich alle traurig die Augen, weil der Anteil des Rades am Verkehrsaufkommen nicht nur zwei Jahrzehnte lang auf gleicher Höhe dümpelte sondern seit 2008 sogar gesunken ist. (Vgl. Vertiefende Analyse der SrV 2013 und Vergleich mit den Ergebnissen aus 2008, erstellt vom Planungsbüro Gertz, Gutsche, Rümenapp für die Freie Hansestadt Bremen im Juni 2017, S. 2).
Tja, Bremen hat sich bisher der eigenen Chancen für die Steigerung des Radverkehrsanteils beraubt.
Ist damit die Debatte um das Führen des Fahrradverkehrs auf der Fahrbahn beendet?
Nein, denn da tut sich was:
Neues Paradigma „Geschützte Radfahrstreifen“
Zum Glück hat die Diskussion über eine sichere und sinnvolle Fahrradinfrastruktur inzwischen die Richtung geändert: Ausgerechnet aus den fahrradunfreundlichen USA kommt das Konstrukt des „Protected Bike Lane“: „A Cycle track, also called separated bike lane or protected bike lane, is a physically marked and separated lane dedicated for cycling that is on or directly adjacent to the roadway but typically excludes all motorized traffic
with some sort of vertical barrier.“ (Hierzu ist jedoch anzumerken, dass eine Reihe von Fahrradinitiativen in den USA sich hierfür jahrelang stark gemacht haben, bspw. die Gruppen aus Washington und Portland)
Auch der ADFC Bundesverband macht sich hierfür stark: In Punkt 8 seiner Infrastrukturleitlinien von 2016 findet sich eine erste Beschreibung, und im März 2018 veröffentlichte er hierzu ein gut recherchiertes Positionspapier. Hier wird zunächst deutlich herausgearbeitet, dass sich auch routinierte AlltagsfahrerInnen unwohl im Mischverkehr mit dem Autoverkehr fühlen: Im ADFC-Fahrradklima-Test 2016 gaben 72% von ihnen an, „dass es ihnen wichtig oder sehr wichtig ist, vom Kfz-Verkehr getrennt fahren zu können.“ (ADFC-Fahrradklima-Test 2016, Ergebnisse der Zusatzbefragung). Und dann wird definiert (s. unten). Am Ende liefert uns der ADFC Bundesverband auch eine saubere rechtliche Analyse zur Einrichtung dieser Geschützten Radfahrstreifen.
In Berlin wurden im vergangenen Jahr die ersten geschützten Radfahrstreifen errichtet. Denn im Juni 2018 wurde das Berliner Mobilitätsgesetz verabschiedet, das auf die Initiative Volksentscheid Fahrrad zurückgeht und unter Beteiligung von Changing Cities e.V., des ADFC Berlin und des BUND Berlin entstand. Das neue Gesetz verlangt an allen Hauptstraßen ausreichend breite Radwege, die so gestaltet sind, dass Befahren oder Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt. Ein Beispiel ist die Planung für die Berliner Siegfriedstraße:
Vorher:
Planung:
Diese Formulierung legt nahe, dass geschützte Radfahrstreifen in Berlin künftig die Regel und nicht die Ausnahme sein sollen. Doch auch geschützte Radfahrstreifen nützen dem Sicherheitsempfinden wenig, wenn sie – wie bei den ersten Berliner Versuchen – in Fahrradweichen statt in geschützten Kreuzungsdesigns münden.
Was ist denn nun eigentlich ein „Geschützter Radfahrstreifen“?
Der ADFC bietet uns eine klare Definition: „Geschützte Radfahrstreifen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie im Optimalfall die Breite einer ganzen Fahrspur einer Straße einnehmen und durch vertikale Elemente (z.B. Baken, Poller, Blumenkübel) sowie durch markierte Schutzzonen (breite Sperrflächen) von den Fahr- und Parkspuren des Kfz-Verkehrs klar getrennt sind. Geschützte Radfahrstreifen werden direkt auf der Fahrbahn auf gleichem Niveau angelegt. (…) Durch den Einsatz von physischen Trennelementen wird das Befahren, Halten und Zuparken auf den Radfahrstreifen verhindert.“ (S. 8 des ADFC Positionspapiers)
Wie eine Reichensteuer mit sofortiger Umverteilung
Was also ist das Neue und zugleich Revolutionäre an dieser Idee? Der öffentliche Raum soll anders verteilt werden! Denn für einen protected bike lane muss der Autoverkehr, sei er nun fahrend oder ruhend, auf der Fahrbahn Platz abgeben. Vierspurige Straßen können zu Zweispurigen, Zweispurige zu Einbahnstraßen werden, Parkstreifen werden aufgehoben. Das ist wie eine Reichensteuer mit sofortiger, transparenter Umverteilung.
Letztlich führt eine Umverteilung des Platzes zu weniger Autoverkehr und mehr Umweltverkehr i.e. auch mehr Fahrradfahrende. Wollen wir eine Verkehrswende, wollen wir weniger Autos in der Stadt, stehend oder fahrend, dann ist diese Umverteilung unerlässlich. Denn Platz zum Autofahren und Parken verleitet zum Autofahren. Auch in Städten wie Bremen haben wir immer noch viel zu viele „Faulfahrer“. Viele müssen gar nicht Auto fahren, sie können auch per Rad oder Straßenbahn schnell an ihre Ziele kommen. Aber es ist viel bequemer, sich in sein Auto zu packen und möglichst direkt von Haustür zu Haustür zu fahren. Und das geht eben nur, wenn fast überall für lau geparkt werden kann und wenn es einfach ist, mit dem Auto zu seinem Ziel zu gelangen.
Protected Bike Lanes können Frieden in die Szene bringen
Aus eben diesem Grunde läuft in Bremen eine Kampagne für eine faire Parkraumbewirtschaftung und gute Alternativen zum eigenen Auto. Und wenn gleichzeitig gute Radinfrastruktur zur Verfügung steht, können auch potentielle FahrradfahrerInnen hinter dem Lenkrad hervorgelockt werden.
Wie der Vorgänger des oben zitierten Bremischen Verkehrssenators 2009 in unser Mikrofon sagte: Wir müssen dem „Radverkehr ganz bewußt, offensiv Vorteile gegenüber dem Auto verschaffen“. Und das gilt immer noch. Protected Bike Lanes oder Geschützte Radfahrstreifen sind hier eine große Chance. Auch zur Versöhnung der verschiedenen RadfahraktivistInnen pro oder contra Fahrbahnführung des Radverkehrs.
Pax nobiscum
Liebe Beatrix,
ganz herzlichen Dank für diesen sehr guten Artikel, den ich leider erst jetzt gefunden habe. Das ist wirklich eine tolle Darstellung der verschiedenen Perspektiven auf die unterschiedlichen Lösungen (oder auch „Nicht-Lösungen“) der Infrastruktur-Probleme.
Ich selbst trete auch deutlich für vom Kfz-Verkehr getrennte Radwege ein und bin auch stark dafür, diese – soweit vorhanden – in Bremen zu erhalten und zu sanieren. Leider wurden – auch bestärkt durch die bisherige ADFC-Position, dass der Mischverkehr auf der Fahrbahn erstrebenswert sei – zahlreiche Radwege in Tempo-30-Zonen in Bremen stillund heimlich aufgegeben. Erst durch Duldung und anschließend dann durch die Anordnung des aufgesetzten Parkens. So zum Beispiel in der Thomas-Mann-Straße vom Schwachhauser Ring kommend oder in der Emmastraße zwischen H.-H.-Meier-Allee und Schwachhauser Heerstraße. Für die Stadt war dies natürlich auch immer eine günstige Möglichkeit – man spart sich die Erhaltungskosten für die Radwege.
Es scheint, als ändere sich diese Position auch beim ADFC zurzeit, was ich sehr begrüße und auch unterstützen möchte.
Nochmal vielen Dank für diesen interessanten und differenzierten Artikel und Deine zahlreichen Antworten auf die anderen Kommentare.
Viele Grüße
Clemens
Lieber Clemens,
herzlichen Dank für die lobenden Worte! Es wird Dich nicht überraschen, dass ich Deine Position zur Aufgabe der Radwege in Bremen (leider mit Unterstützung des „alten“ ADFC) teile. Doch auch ich sehe, dass sich im ADFC in Bremen etwas ändert, wenn auch langsam. Jede Organisation hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und Geschwindigkeiten. In Berlin hat der Volksentscheid Fahrrad den Landesverband zu einem schnellen Positionswechsel gebracht….in Bremen findet der Wandel geräuschloser statt. Sehr bedauerlich finde ich, dass Bremen während der Pandemie nicht die Chance ergriffen hat, pop-up bike lanes wie in Berlin auszuweisen. Das wollte der Bremer ADFC ja sehr. Aber zurück zum Post: In einem neuen Post haben wir uns mit dem Vehicular Cycling beschäftigt, seiner Geschichte und Auswirkungen: https://www.bremenize.com/entruempelung-des-bremer-radverkehrs-werkzeugkastens/#more-13804
Vielleicht interessiert Dich das auch.
Viele Grüße
Beatrix
Um mal eine andere weibliche Stimme einzubringen: Ich bin noch mit Mischverkehr aufgewachsen. Bei uns auf dem Kaff gab’s in den frühen 70er Jahren keine abgesetzten Radwege, Mischverkehr war selbstverständlich. Ja, auch für Grundschüler. Zwischen den Dörfern (zum Teil Bundesstraße, inkl. eines Autobahnzubringers) fuhr man mit dem Rad auf den Seitenstreifen. Ja, auch Grundschüler. Den glatten Asphalt und die klaren, überschaubaren Sichtbeziehungen habe ich nach Aufkommen der schmalen und holprigen Hochboard-Radwege in den späten 70ern/80ern immer vermisst. Und mit Verbreitung der vehicular cycling Diskussion bzw. Reduzierung der Benutzungspflichten in den 90ern gerne wo möglich und sinnvoll für mich zurück erobert. Inzwischen in HH übrigens, also ’ne Nummer größer.
Wie einige Vorschreiber hier sehe ich den eigentlichen Knackpunkt in der Umverteilung des Verkehrsraums: Der MIV hat (sowohl fahrend wie stehend) in den letzten Jahrzehnten immer mehr Raum eingenommen. Schlicht dadurch, dass die Karossen nicht nur mehr, sondern auch größer (und dadurch raum- und sichtnehmender) wurden. Der Radverkehr hat seit den 70ern ebenfalls deutlich zugenommen. Allerdings keineswegs im Platzverbrauch. Sondern in der Zahl der Radfahrenden. Die umgekehrt proportional zur steigenden Anzahl mittels Separation auf immer weniger Platz zusammengedrängt wurden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Mir ist es schnuppe, ob die notwendigen / überfälligen 3m Radverkehrs-Bewegungsraum (pro Fahrtrichtung!) als Mischverkehr (sehr gerne inkl. deutlichem Tempolimit für den MIV!), Hochboard, Radstreifen oder PBL geführt werden. Der Belag sollte für ein sicheres und zügiges Vorankommen aller Radfahrenden (also schnellerer und langsamerer, mit Lasten und ohne) geeignet sein. Die Sichtbeziehungen an Kreuzungen, Einfahrten und Einmündungen sollten klar gegeben sein. Was wahrscheinlich sogar bei sinnvoll dimensionierten(!) Hochboard-Anlagen der Fall wäre. Denn ein 3m-Streifen (pro Richtung!) lässt sich nunmal nur mittels deutlicher Reduzierung des Straßenmobiliars sowie des fahrenden wie auch ruhenden MIV realisieren. Das Entscheidende ist meines Erachtens: Hinreichend Platz für den Radverkehr muß her. Und zwar schnell. Auf möglichst vielen Strecken.
Genau an dem Punkt habe ich dann aber ein großes Problem mit dem Ruf nach PBL: PBL sind aufwendiger in der Planung. PBL sind teurer in der Realisierung. Woraus sich fast zwangsläufig ergibt, dass es , sobald man sich auf PBL festlegt, deutlich weniger Kilometer aktueller Radinfrastruktur geben wird, als das bei einfacheren Lösungen der Fall wäre. Man braucht sich doch nur mal die gehypten Beispiele ansehen: Berlin Holzmarkt 450m. Darmstadt mittlere Rheinstraße (geschätzt) 350m. Beide wurden bzw. werden nur dort eingerichtet, wo’s dem MIV nicht wirklich weh tut. Und beide beginnen bzw. enden in einem Umfeld aus radverkehrsinfrastrukturellem Chaos.
Kurz: Bisher sehe ich PBL ausschließlich als Alibistreifchen. Die den Alltagsradverkehr (der sich nunmal nicht im Alibi-Bereich von ein paar hundert Metern cruisen und dann am Ende der bunten Farbe in Luft auflösen, sondern auf ganz realen Wegbeziehungen von 2-20 Km abspielt) schlicht nicht voran bringen. Der im schlimmsten Fall aber in den Köpfen von Dosenlenkenden den (vom Hochboard altbekannten) Reflex triggern könnte anzunehmen, dass Radfahrende ausschließlich dort, wo bunt und Poller und so sind, eine Existenzberechtigung haben.
Liebe Twisdu: PBLs sind eben keine Alibistreifchen, bitte schaue Dir die Definition des ADFC-Bundesverbandes hierzu an, die ich zitiere. Und ich fände es auch gut, wenn Du nochmal auf das Ende des Posts schautest: Es geht um Platz-Umverteilung zwischen Auto und Rad, mit den PBLs muss das Auto Platz hergeben, bis hin zu einer vollen Autospur. Wer als Fahrradaktivist mit Politik und Verwaltung etwas anderes aushandelt, hat aus meiner Sicht das Thema verfehlt. In Deinem dritten Absatz hast Du das auch voll auf den Punkt gebracht!!
Vielen Dank für Deinen Kommentar!!
Liebe Beatrix, natürlich sind wir sind uns in der Frage der notwendigen Umverteilung des Verkehrsraums völlig einig. Mir ging es allerdings um die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis: Die Theorie, wie sie etwa im ADFC-Positionspapier (das ich selbstverständlich kenne) geschildert wird, ist toll. Die Praxis sind jedoch Alibistreifchen. Dort wo es dem MIV nicht weh tut. Ich habe im 4. Absatz die Beispiele genannt. Und im 5. Absatz den Aspekt zu beschreiben versucht, den ich an diesen Alibistreifchen gefährlich finde.
Sorry, aber ich bleibe dabei: 5 km kostengünstig, aber unübersehbar, „auch für Radfahrer!“ ausgewiesene Mischverkehrs-Fahrbahn mit ebenso deutlich ausgewiesenem und nachhaltig sanktioniertem(!) Tempo 30 (noch besser: Tempo 25) sind sinnvoller für die Förderung des Alltagsradverkehrs als 500 m teure PBL die im Nichts endet. 5 km hinreichend breiter Radfahrstreifen mit ausgewiesenen Sicherheitszonen (auch das wäre eine dem Radverkehr übereignete ganze derzeitige KFZ-Spur!) und ausreichend sanktionierter Mißbrauchsüberwachung sind sinnvoller für die Förderung des Alltagsradverkehrs als 500 m PBL die im Nichts endet. Denn Alltagsradverkehr findet nunmal nicht auf ein paar hundert Metern statt. Sondern in Kilometern.
Alles was in den Hirnen von KFZ-Führenden den schon von den Hochboards her allzu bekannten Reflex „Radfahrer am Ende der Radverkehrsanlage in Luft auflösen“ triggert kann meines Erachtens leider auch latent gefährlich sein. Weil es suggeriert, dass Radverkehr nur in Reservaten stattfinden darf/soll. Wir kennen das doch nun bereits seit mehreren Jahrzehnten vom Hochboard des 70er/80er-Jahre-Typs. Da war die Theorie auch, die Radfahrenden vor dem bösen MIV schützen zu wollen. Die Praxis hingegen ihre Marginalisieriung. Für PBL, so wie sie derzeit geplant/gebaut werden, trifft das leider (bisher? oder prinzipbedingt?) ebenfalls zu. Da ist das Reservat dann halt ein bisserl breiter. Aber dafür gleich auch wieder viel kürzer.
Am Rande bemerkt: Dein letztes Bildbeispiel (Amsterdam) zeigt keine PBL. Sondern eine (Einbahnstraßen-?)Fahrbahn. Mit Mischverkehr. Die Poller dort dienen zur Abgrenzung der Gehwege.
Hallo Beatrix Wuppermann, den allerletzten Punktvon Twisdu möchte ich untretsützen. Es ist wegen des roten Asphalts vermutlich eine Fahrradstraße in niederländischer Weise („auto te gest“, Auto zu Gast, wenn ich es recht in Erinnerung habe und übersetze). Die Fahrradstraße in NL ist übrigens m.W. nicht in der dortigen StVO verankert (aso ohne die voraussetzungen und Regelungen wie hier in D), wurde aber trotzdem in zahlreichen Städten oft umgesetzt.
Die Poller würden bei einem reinen Radweg keinen Sinn ergeben, es geht darum, Parken auf Gehwegen sicher zu verhindern. Insofern ein „geschätzter“ (schöner Verschreiber!) Gehweg… M.E. solltest Du den Kommentar zum Bild anpassen oder es an dieser Stelle ganz herauslassen, weil es nicht gut zum Titel des Beitrags passt.
Liebe(r) Rusti, Danke für den Kommentar! Zum Foto: Ich habe mich bewusst zurückhaltend geäußert, die Bildunterschrift neutral gehalten. Nein, klar ist das keine PBL im diskutierten Sinne. Sehe ich auch so. Rechts und links sind ja nur Fußwege.
Aber ich sehe hier nur FahrradfahrerInnen (und ein Motorrad), keine Autos. Ich habe auch schon Twisdu die Frage gestellt, ob sie diese spezifische Straße aus eigener Anschauung kennt. Kennst Du sie?
Und ja: Fahrradstraßen gibt es im niederländischen Recht nicht. Sowas bauen die gar nicht erst. Sollte uns auch zu denken geben.
Grüße Beatrix
Liebe Twisdu, mit Deinem entschiedenen Eintreten für Mischverkehr zur Förderung des Alltagsradverkehrs kann ich mich nicht anfreunden, halte diese Position auch für überholt, unser Bremer ADFC ist da inzwischen weiter, der Bundesverband sowieso. Ich werde das jetzt nicht weiter ausführen, der Post beschäftigt sich ja schon damit.
Zu dem Foto aus Amsterdam: Kennst Du die Straße, die Fahrbahn, oder was immer das ist? Sind Autos dort zugelassen?
Danke für Deine Antwort zu diesem spezifischen Punkt im voraus. Grüße Beatrix
> Mir ist wichtig, dass wir den unseligen Streit zwischen den Fraktionen mal angehen, zwischen den überzeugten FahrbahnfahrerInnen und denen, die eine vom Autoverkehr getrennte Infrastruktur wünschen.
Ja, das ist ein guter Ansatz.
> An diese Umverteilung trauen sich die FahrbahnliebhaberInnen nämlich bisher nicht ran. Immer mit dem Argument, es sei eben nicht genug Platz für alle da, wir können uns die Städte nicht neu backen usw. Kopenhagen habe andere Voraussetzungen als Bremen, ich könnte das noch weiter vertiefen.
Ich weiss nicht… ich sehe das anders. M. E. rennst Du auch bei Mischverkehrbefürwortern mit der Forderung nach protected lanes (bzw. Radfahrstreifen in Autofahrstreifenbreite) offene Türen ein und auch Mischverkehrbefürworter finden es gut, wenn es weniger Autoverkehr gibt bzw. dem Autoverkehr Fläche weggenommen wird.
Aber die Frage bleibt doch offen, was ist, wenn das eben nicht geht, weil der Platz fehlt oder weil es politisch noch nicht durchsetzbar ist: dazu zwei Beispiele:
1.) Parkallee: Natürlich wäre es das Optimum, wenn der rechte Fahrstreifen in einen Radfahrstreifen umgewandelt wird. Das geht aber nicht ad hoc, weil der politische Widerstand mit dem Ziel der Erhaltung der Parkmöglichkeiten zu groß ist. Zweitbeste Lösung wäre eine Fahrradstraße ohne Auto-(Durchgangs)-Verkehr. Ließ sich anscheinend auch nicht durchsetzen. Und wenn diese beiden (besseren) Lösungen nicht gehen, dann ist mir die aktuelle Variante (Fahrradstraße) lieber als die alte Variante mit den schlechten Bordsteinradwegen! Brauchen wir hier aber nicht neu zu diskutieren.
2.) Münchener Str.: Natürlich sind die Schutzstreifen großer Mist. Aber für Protected Bike lanes fehlt schlicht der Platz. Und Autos aussperren dürfte auf einer Straße mit Bus-Linien-Verkehr in beide Richtungen auch schwierig werden. Also was würdest Du machen?
Lieber Karsten, Zu den FahrbahnradlerInnen: genau von denen kommt das Argument, dass wir nicht überall PBLs haben können, weil der „Platz“ fehle. Wie von mir beschrieben.
Münchener Straße: Jede Straße hat ihre eigenen Probleme, und hier war die Buslinie in der Tat ein schweres Argument für die ver…. „Schutz“-Streifen. Aber hier wäre natürlich eine Fußgängerzone möglich (Räder zugelassen), in der der Bus bei Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist. Sowas habe ich z.B. in Schwerin gesehen. Oder eine Fahrradstraße mit einer Querblockade, um den Durchgangsautoverkehr rauszuhalten, die Fahrräder aber durchzulassen. Der Bus könnte eine spezielle bewegliche Schranke erhalten, wie sie auch oft gerne in Baustellen verwendet wird (für Bus und Straßenbahn), plus er müsste bei 20 km/h fahren, denn wie Du weißt, fordere ich in Fahrradstraßen Tempo 20. Mag die BSAG nicht, aber wer zum Umweltverbund gezählt werden möchte….
Ich glaube, Du möchtest Fronten befrieden, die es gar nicht in dieser Ausprägung gibt. Natürlich gibt es (vor allem im Netz laute) Puristen, die jede Art von Separierung ablehnen. Aber die geben doch nicht den Ton an. Wie oft siehst Du denn einen überzeugten Fahrbahnradler auf der Fahrbahn der Schwachhauser Heerstraße oder den Neuenlander Straße fahren?
Meine Position ist (und das dürfte mehrheitsfähig sein): die vorhandene klassische Infrastruktur reicht vorne und hinten für den gegenwärtigen und zukünftigen Radverkehr nicht aus. Und dann ist die Frage: was tun?
Ich halte Deine Vorschläge für die Münchener Str. für gut und finde es etwas komisch, dass man sich vorkommt, als würde man in eine Rechtfertigungsrolle gedrängt. Deine Darstellung wirkt ein wenig so, als würden überzeugte Fahrbahnradler*innen Tempo 20 oder Durchfahrtsbeschränkungen verhindern, aber das ist doch Quatsch. Es kann höchstens sein, dass einigen die erlaubte Schrittgeschwindigkeit einer Fußgängerzone zu gering wäre. Und in der Parkallee ist doch der – zwischendurch mal diskutierte Radfahrstreifen in Fahrstreifenbreite – nicht von überzeugten Fahrbahnradler*innen, sondern von der lokalen CDU verhindert worden.
Bevor ich mich auf einen schlechten (Breite, Oberflächenbeschaffenheit, Führung an Einfahrten und Kreuzungen etc.) Radweg zwingen lasse, finde ich es besser, dass ich auf der Fahrbahn im Mischverkehr fahren darf. Aber ich habe ganz bestimmt nichts gegen eine substantielle Verbesserung der Infrastruktur. Und ich bin tatsächlich angesichts bestimmter Rahmenbedingungen (Straßenquerschnitt, Bedeutung für stadtteilübergreifenden Verkehr wie in der Münchener zwischen Findorff und Walle) skeptischer bezüglich einer schnellen Umsetzung von richtig guter Rad-Infrastruktur. Aber ich möchte mich deswegen nicht in eine vermeintliche Verhinderer-Rolle drängen lassen…
Lieber Karsten,
Fronten: die Position des Führens auf der Fahrbahn ist in den vergangen 25 Jahren leider (nicht nur in Bremen) eine vom ADFC lautstark vorgetragene Position gewesen. Aber „gewesen“, denn es verändert sich Vieles (nicht nur in Bremen). Ein anderes Beispiel ist Berlin, wo es im Landesverband des ADFC erstmal eine Revolution gegen den Vorstand geben musste, bevor der Verband sich dem Volksentscheid Fahrrad anschließen konnte. Ich habe in meinem Post beschrieben, welche Folgen diese Politik der Fahrbahnführung (nicht nur in Bremen) hatte. In den 80ern hatte der ADFC nämlich noch eine andere Position, was an den Entwicklungen im Viertel bspw. gut nachvollziehbar ist (wenn Du mal alte Fotos aus den 60ern mit denen aus den 80ern vergleichst). In dieser Dekade hat der Rad-Anteil am Modal Split deutlich zugenommen. Und seit gut zwei Jahrzehnten haben wir Stillstand, zuletzt ist der Anteil (2013 im Vergleich zu 2008) sogar leicht zurück gegangen. Der Bundesverband hat in den vergangenen Jahren (nicht nur in Bremen) interveniert, das Wort „Vehicular Cycling“ in das Bewußtsein der Aktiven gehoben und die Diskussion von der Technokratie weggeholt. Die Menschen selbst, die oft vergessene Zielgruppe außer dem sportlichen Mann, sind in Bremen zum Glück dem Rad treu geblieben, aber eben auch ihren Radwegen, wie ich bei dem Ausflug zu den Worten des VEP beschreibe. 99%, das haben die Gutachter des VEP rausgekriegt, sind auf den Radwegen geblieben, trotz Aufhebung der Benutzungspflicht. (Das steht leider nicht so drin, war aber aus den Hintergrundmaterialien zu entnehmen).
Tempo 20 in Fahrradstraßen: Überzeugte Schnellfahrer sind dagegen, aber die sind eben, wie Du schreibst in der Minderheit, leider aber auch besonders laut. Sie sind auch gegen Schikanen in der Fahrbahnführung zur Entschleunigung des Autos, weil sie sich damit auch ausgebremst fühlen. Doch, diese Diskussion musste ich genauso führen.
Grundsätzlich ändert sich zurzeit (auch bundesweit) enorm viel pro Fahrrad (und Fuß), das Fahrrad ist in, und das haben wir vor allem dem VEF in Berlin zu verdanken. Und diese Diskussion um die PBLs ist nur ein Teil davon, aber deswegen wichtig, weil er die Kampfhähne möglicherweise auf eine friedliche (Fahr-)Bahn lenken kann. Zusätzlich wird die Platzfrage hier in aller Klarheit auf den Tisch gelegt. Es geht nicht darum, den Platz mit dem Auto (im Mischverkehr zu teilen, sondern Platz an Fahrrad und Fuß zurück zu verteilen. Und wenn nicht genug Platz für das Auto da ist, können eben Autos dort nicht fahren. Bisher wurde das immer anders entschieden. Wir müssen anfangen, anders zu denken und zu planen.
Lieber Strizzi, das ist ja mal wieder ein langer Riemen, aber herzlichen Dank dafür. Zu den Feinheiten der Sicherheitsermittlung und -definition würde ich gerne ein andermal Stellung nehmen.
Mir ist wichtig, dass wir den unseligen Streit zwischen den Fraktionen mal angehen, zwischen den überzeugten FahrbahnfahrerInnen und denen, die eine vom Autoverkehr getrennte Infrastruktur wünschen. Wir müssen uns aus dieser Erstarrung, die dieser Streit bewirkt, lösen. Auch in Bremen ist klar, das zeigen eben die Zahlen des VEP – auch Zahlen, die dann gar nicht veröffentlicht wurden -, dass die Leute keine Lust auf Radeln im Mischverkehr haben. Darauf weise ich hin. Die FahrbahnliebhaberInnen sind in Bremen und bundesweit die Minderheit, diese Minderheit setzt sich aber bisher gegen die schweigende Mehrheit durch, eben weil die Mehrheit schweigt. Immer mit dem Argument, dass es sicherer sei (angeblich wegen der Sichtbeziehungen) auf der Fahrbahn zu fahren.
Nun schlägt der Bundesverband eine Lösung auf der Fahrbahn vor, und – und hier wird es spannend – dies ist eine Lösung, die noch ein weiteres Thema angeht: Es soll damit der Platz zwischen MIV und Rad (und Fuß) umverteilt werden. An diese Umverteilung trauen sich die FahrbahnliebhaberInnen nämlich bisher nicht ran. Immer mit dem Argument, es sei eben nicht genug Platz für alle da, wir können uns die Städte nicht neu backen usw. Kopenhagen habe andere Voraussetzungen als Bremen, ich könnte das noch weiter vertiefen.
Der Gedanke, dass wir vielleicht gar nicht genug Platz für die vielen Autos in unseren Städten haben, dass wir viel mehr an die Wurzel des Problems rangehen müssen, greift erst langsam um sich. Ich bitte Dich, meinen Post mehr mit diesen Augen zu lesen.
Strizzi, wir sind uns doch in vielen Fragen einig! Pace
Liebe Beatrix Wuppermann, ich halte einige grundlegende Thesen oben für falsch.
Zum einen: „Somit ist Sicherheit orts- und zeitabhängig, ist abhängig von der Wahrnehmung des Problems, der Datenerhebung und der allgemeinen Herangehensweise der Untersuchung.“
Vor allem Anderen ist Sicherheit personenabhängig. Sicherheit ist für einen 35j. Mann etwas anderes als für einen 65j, wieder etwas anders für die Eltern eines 10j Kindes, für das Kind selbst, für eine Frau, etc pp.
Was im amtlichen Radverkehr/in der Radverkehrsdiskussion unter „objektive“ oder „statistische“ Sicherheit firmiert, das nimmt den mittelalten weißen Mann als Standardmodell, trifft also nur für eine, wenn auch lautstarke, Minderheit zu.
Die objektive Sicherheit einer Radverkehrsführung lässt sich nicht allein anhand von Unfallstatistiken beurteilen. Eine Unfallstatistik ist eine Unfallstatistik und keine Sicherheitsstudie. Denn es ist bekannt, dass einerseits besonders stress- und rsikointolerante Radfahrer*innen Mischverkehr und oft auch Streifen meiden und andererseits sportliche männliche Vielradler, wie sie im Mischverkehr überrepräsentiert sind, bei der Unfallexposition unterrepräsentiert sind.
„Verbesserungen“ der Statistik durch Verdrängung von Hochrisikogruppen sind aber natürlich kein Sicherheitsfortschritt und müssen bei der Risikobeurteilung berücksichtigt werden.
„Habemas PBL. Ein Friedensangebot?“
Ich bin sehr für Ausgleich und dafür, alle mitzunehmen. Und ich finde es gut, dass innerhalb des ADFC ein Weg gefunden wurde, die jahrzehntelange, für die Entwicklung des Radverkehr so überaus fatale Vorherrschaft des VC zu brechen.
Das Konzept der PBL scheint dafür wie gemacht, stammt es doch aus dem Mutterland des VC, was es auch für hardcore Landesverbände anschlussfähig macht.
Doch ist die ADFC-interne Diskussion nicht alles.
Dass sich der Radverkehr in Deutschland um des lieben Friedens im ADFC willens an Konzepten aus den USA (PBL), 1-2% Radverkehrsanteil, orientieren soll, statt an Konzepten aus z.B. den Niederlanden, über 30% Radverkehrsanteil, erscheint mir zumindest fragwürdig. Wo wollen wir hin?
Die vielen Radentscheide in Deutschland, oft ohne oder sogar gegen die örtlichen ADFC-Funktionäre ins Werk gesetzt und fast alle mit Bevölkerungsmehrheiten, haben ganz andere Schwerpunkte.
Ihr Maß ist nicht mehr die technische Art der Radverkehrsführung, über die zumeist männliche „Sicherheitsexperten“ trefflich fachsimpeln können.
Ihr Maß ist der Mensch, der dort radeln soll. Es kann nicht primär um PBL, Streifen usw gehen.
Radverkehr ist anders als Kfz-Verkehr (genormte Infra für genormte Produkte). Beim Radverkehr ist der Mensch ganz direkt der Infra ausgesetzt. Die Infra muss deshalb ganz direkt auf den radfahrenden Menschen zugeschnitten sein.
Will ich Radverkehr fördern, so muss ich also die radfahrenden Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ich muss fragen: Wer sind die überhaupt? Genauer: Wer sind die für die Entwicklung des Radverkehrs entscheidenden Bevölkerungsgruppen?
Antwort:
– Schüler*innen, wegen ihres hohen Radverkehrpotentials und wegen der Nachhaltigkeit : Sie behalten die erworbene Aktive Mobilität oft als Erwachsene bei und geben sie an eigene Kinder weiter.
– Pendler*innen, ebenfalls wegen hohen Radverkehrspotentials und wegen hohen ad hoc Problemlösungspotentials bei Stau, Entlastung ÖPNV.
– Alltagsradverkehr
Dann muss ich fragen: Was haben diese Gruppen für besondere Bedürfnisse bzw. Erfordernisse? Welches sind ihre bevorzugten Wege?
Und jetzt erst, ganz am Schluss, stellt sich die Frage nach der technischen Radverkehrsführung: Welche Lösungen, liebe Ingenieure, liebe Verkehrsplaner, habt ihr, um diese Wege nach den festgestellten Bedürfnissen herzurichten?
Lieber Strizzi, endlich komme ich dazu, Deinen Kommentar zu beantworten:
Strizzi, ich habe Deinen Text hier in meine Antwort übernommen, Dein Text in Klammern, meine Antwort in Gänsefüßchen:
(Liebe Beatrix Wuppermann (das schreibt sich übrigens mit einem n) ich halte einige grundlegende Thesen oben für falsch. Zum einen: “Somit ist Sicherheit orts- und zeitabhängig, ist abhängig von der Wahrnehmung des Problems, der Datenerhebung und der allgemeinen Herangehensweise der Untersuchung.” Vor allem Anderen ist Sicherheit personenabhängig. Sicherheit ist für einen 35j. Mann etwas anderes als für einen 65j, wieder etwas anders für die Eltern eines 10j Kindes, für das Kind selbst, für eine Frau, etc pp.)
„Ja, natürlich ist sie Personen abhängig, gerade deswegen muss ein vernünftiges Mindestmaß gefunden werden. Da wird bisher vor allem die männliche Alterskohorte zwischen 18 und 44 Jahren betrachtet. Die Referenzgröße müsste das Kind sein, das nicht mehr auf dem Fußweg fahren darf. (11 Jahre) Andere Referenzgrößen sind völlig inakzeptabel. Auf diese Feinheiten werde ich bestimmt in einem anderen Post eingehen, mir ging es im ersten Teil meiner Ausführungen um die Diskussion über subjektive und objektive Sicherheit.
(Was im amtlichen Radverkehr/in der Radverkehrsdiskussion unter “objektive” oder “statistische” Sicherheit firmiert, das nimmt den mittelalten weißen Mann als Standardmodell, trifft also nur für eine, wenn auch lautstarke, Minderheit zu. Die objektive Sicherheit einer Radverkehrsführung lässt sich nicht allein anhand von Unfallstatistiken beurteilen. Eine Unfallstatistik ist eine Unfallstatistik und keine Sicherheitsstudie. Denn es ist bekannt, dass einerseits besonders stress- und rsikointolerante Radfahrer*innen Mischverkehr und oft auch Streifen meiden und andererseits sportliche männliche Vielradler, wie sie im Mischverkehr überrepräsentiert sind, bei der Unfallexposition unterrepräsentiert sind.)
„Nein, ich meine mich zu erinnern, dass genau die letztgenannte Gruppe laut eines BASt Gutachtens am meisten in Unfälle verwickelt ist.“
(„Verbesserungen“ der Statistik durch Verdrängung von Hochrisikogruppen sind aber natürlich kein Sicherheitsfortschritt und müssen bei der Risikobeurteilung berücksichtigt werden.) “Habemas PBL. Ein Friedensangebot?”
Ich bin sehr für Ausgleich und dafür, alle mitzunehmen. Und ich finde es gut, dass innerhalb des ADFC ein Weg gefunden wurde, die jahrzehntelange, für die Entwicklung des Radverkehr so überaus fatale Vorherrschaft des VC zu brechen.)
„Da sind wir uns ja einig.“
(Das Konzept der PBL scheint dafür wie gemacht, stammt es doch aus dem Mutterland des VC, was es auch für hardcore Landesverbände anschlussfähig macht.
Doch ist die ADFC-interne Diskussion nicht alles.)
„Die ADFC-interne Diskussion ist leider sehr wichtig, weil die Behörden am liebsten mit dem ADFC über Infrastruktur verhandeln, insbesondere, wenn die Orts- oder Landesgruppen immer noch dem Ideal des Führens des Rades auf der Fahrbahn anhängen. Das wird gerne übernommen, ist es doch eine billige Lösung.“
(Dass sich der Radverkehr in Deutschland um des lieben Friedens im ADFC willens an Konzepten aus den USA (PBL), 1-2% Radverkehrsanteil, orientieren soll, statt an Konzepten aus z.B. den Niederlanden, über 30% Radverkehrsanteil, erscheint mir zumindest fragwürdig. Wo wollen wir hin?
Die vielen Radentscheide in Deutschland, oft ohne oder sogar gegen die örtlichen ADFC-Funktionäre ins Werk gesetzt und fast alle mit Bevölkerungsmehrheiten, haben ganz andere Schwerpunkte.
Ihr Maß ist nicht mehr die technische Art der Radverkehrsführung, über die zumeist männliche “Sicherheitsexperten” trefflich fachsimpeln können.)
„Auch die Radentscheide stellen konkrete Forderungen an die Infrastruktur, und wie wir in Berlin erleben können, gehören die PBLs genau dazu. Deswegen habe ich auch so viele Berliner Fotos/Beispiele mit aufgenommen.“
(Ihr Maß ist der Mensch, der dort radeln soll. Es kann nicht primär um PBL, Streifen usw gehen.
Radverkehr ist anders als Kfz-Verkehr (genormte Infra für genormte Produkte). Beim Radverkehr ist der Mensch ganz direkt der Infra ausgesetzt. Die Infra muss deshalb ganz direkt auf den radfahrenden Menschen zugeschnitten sein.
Wir müssen trotzdem Referenzgrößen, den kleinsten gemeinsamen Nenner finden: Eben das 11 jährige Kind, das nicht mehr auf dem Fußweg fahren darf.
Will ich Radverkehr fördern, so muss ich also die radfahrenden Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ich muss fragen: Wer sind die überhaupt? Genauer: Wer sind die für die Entwicklung des Radverkehrs entscheidenden Bevölkerungsgruppen?)
„Die Letztgenannte ist eine zentrale Frage! Auch da sind wir uns sicher einig: Die für die Entwicklung des Radverkehrs entscheidenden Bevölkerungsgruppe ist nicht der Mann zwischen 18 und 44, denn der ist der erste, der sich aufs Rad schwingt. Wir müssen die suchen, die sich am meisten zurück halten. Das ist dann weniger das o.g. 11jährige Kind, da Kinder oft wenig Risikobewusstsein haben und eher von ihren Eltern als von sich selbst vom Radfahren abgehalten werden. Eltern schauen auf das Risiko, und wenn die Infrastruktur aus ihrer Sicht nicht sicher genug ist, dürfen die Kinder nicht Fahrrad fahren. Und die Eltern tun es auch nicht, von wegen Vorbildfunktion.
Und deswegen stimmt Deine Antwort auch, aber auch nur auch:“
(– Schüler*innen, wegen ihres hohen Radverkehrpotentials und wegen der Nachhaltigkeit : Sie behalten die erworbene Aktive Mobilität oft als Erwachsene bei und geben sie an eigene Kinder weiter.)
„Und deren Eltern!“
(– Pendler*innen, ebenfalls wegen hohen Radverkehrspotentials und wegen hohen ad hoc Problemlösungspotentials bei Stau, Entlastung ÖPNV.
– Alltagsradverkehr
Dann muss ich fragen: Was haben diese Gruppen für besondere Bedürfnisse bzw. Erfordernisse? Welches sind ihre bevorzugten Wege?
Und jetzt erst, ganz am Schluss, stellt sich die Frage nach der technischen Radverkehrsführung: Welche Lösungen, liebe Ingenieure, liebe Verkehrsplaner, habt ihr, um diese Wege nach den festgestellten Bedürfnissen herzurichten?)
„Lieber Strizzi, die Infrastruktur ist entscheidend! Und die Entscheidung über die Infrastruktur geht einher mit der Überlegung, wer sie nutzen soll. Das ist ein dialektischer Prozess. Ja, ich muss gucken, für wen ich plane, und wenn ich plane immer wieder überprüfen, ob’s für meine Zielgruppe passt.
Genau das läuft bei den Vehicular Cyclists ja schief, sie entscheiden sich für ihre und nur für ihre reine Lehre der Sicherheit, sie glauben an ihr Konzept der objektiven Sicherheit und verlieren dabei die wichtigen Zielgruppen aus dem Auge. Eine technokratische und sehr patriarchalische Lösung.“
Liebe Beatrix.
Ich sehe diese Antwort jetzt erst.
„Pace“ nehme ich als dauerhaft zwischen uns.
„die Infrastruktur ist entscheidend!“
Ja, aber ‚erst‘ letztlich.
Die entscheidenden Kategorien und deshalb der Infrastruktur vorausgehend sind, da zitiere ich Colville-Andersen,
– Soziologie (Wer sind die relevanten Bevölkerungsgruppen? Wen soll diese Infra an diesem Ort ansprechen),
– Anthropologie (das menschliche Maß, gern abwertend als „subjektive“ im Gegensatz zur „rationalen“ „objektiven“ Sicherheit bezeichnet). Verschiedene Bevölkerungsgruppen haben verschiedene menschliche Maße (siehe z.B. SchülerInnen oder Care- (= Alltags-) Radverkehr oder Berufsverkehr).
‚One fits all‘ klappt nicht immer.
– Verkehrspsychologie (Aufmerksamkeitssteuerung, Vermeidung von Wahrnehmungs- und Ereigniskonflikten zwischen Rad- und Kfz-Verkehr).
Infrastruktur ist sozusagen bloße Taktik. Ihr Zweck ist es, die Strategie (aus Soziologie, Anthropologie und Verkehrspsychologie) bestmöglich auf den Platz zu bringen. Sie (die Taktik, d.h. die Infrastruktur) muss deshalb auf die Erfüllung der Strategie hin evaluiert und laufend verbessert werden.
Kennst du eigentlich Marianne Weinreich?
http://www.epomm.eu/newsletter/electronic/docs/Marianne_Weinreich_NordicCycleCities.pdf
Übrigens, da du es zweimal falsch schreibst: Bereits mit 10 Jahren (nicht erst mit 11) dürfen Kinder nicht mehr auf dem Gehweg radeln, sondern müssen, so kein Radweg vorhanden, auf die Fahrbahn.
Strizzi, Du hast Recht, es heißt: „StVO, § 2 Absatz 5 (NEUfassung ab 12/2016)
„(5) Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen.“
Pace!!
Danke, Beatrix, dass du meinen Beitrag im ADFC-Blog von 2015 zitierst. Damals habe ich damit einen kleinen Shitstorm ausgelöst. Ich freue mich, dass sich allmählich etwas bewegt in Richtung sicherer Wege für Normalo-Radler*innen.
Liebe Claudia, es war mir ein Vergnügen, Dich zu zitieren.
Viele Grüße
Wie wollen wir miteinander umgehen?
Danke Wolfgang für das Teilen dieses Posts!
Mir wird bei Sichtung immer deutlicher, wie groß dieses Thema eigentlich ist.
Dass RadfahrerInnen und FußgängerInnen, also Menschen für ihren Raum kämpfen müssen angesichts anderer Menschen, die sich AutofahrerInnen nennen, ist schon heftig.
Eigentlich müssten alle Menschen doch Interesse daran haben, dass es für alle Menschen besser wird, denn dann ist es ja auch für sie selber besser, aber stattdessen werden Gräben aufgemacht und Schutzwälle errichtet, aus denen dann scharf „geschossen“ wird. Brauchen wir diesen „Krieg“? Haben wir soviel Angst um unser Territorium, dass wir andere zu Feinden erklären müssen? Anscheinend JA!
Ich habe mir heute morgen eine Doku des WDR zu neuem völkischen Denken angesehen und muss feststellen, dass wir bei diesem Thema auch nicht weit davon entfernt sind: es werden „Stämme“ aufgemacht und die Werte verteidigt, als ob es um das eigene (Über-)Leben geht…
rationales, logisches Denken Fehlanzeige! enges, emotionales Denken stattdessen.
Ihr seht mich – ziemlich „verblüfft“… es geht doch um mehr menschliches Miteinander im Verkehr – oder ist das der neue/alte Kriegsschauplatz, in dem die „Stärkeren“ es den „Schwächeren“ einfach mal so richtig „zeigen“ können?
eine Geschichte dazu: neulich überquerte ich die Fürther Str. mit dem Rad vor der Polzei, wo die Mittellinie unterbrochen ist, und es kam von rechts ein „Raser“, der noch „schnell“ über die Ampel wollte nach links. Ich bremste ab und versuchte hinter ihm weiter die Straße zu überqueren. Er bremste so scharf ab, weil die Ampel auf rot sprang, dass ich mit meinem linken Bein sein Auto touchierte. Er hielt mitten auf der Fahrbahn an, stieg aus und beschimpfte mich. Ich fuhr erstmal weiter, weil ich mich nicht selber gefährden wollte. Woraufhin er mich in einem abenteuerlichen Manöver verfolgte mit dem Auto, mich ausbremste und die Polizei anrief, woraufhin ich dasselbe tat, was ihn verblüffte… und dann warteten wir… bis er sich soweit beruhigt hatte, dass er auch meine Wahrnehmung der Situation anerkennen konnte und wir uns mit einem Handschlag verabschiedeten und ich die Polizei abbestellte…
Auch radfahrende Menschen stehen häufig unter Strom, um noch kurz über eine Ampel zu kommen und rasen dabei völlig unkontrolliert und bar jeder Vernunft an ihren Mitradlern rechts vorbei und zwingen gehende Menschen zum Ausweichen – und wenn ich sie dann an selbiger Ampel stehend treffe und anspreche auf ihr Verhalten, ernte ich ungläubige oder abwesende Blicke….
Und auch gehende Menschen nehmen dieses Verhalten zunehmend für sich in Anspruch: ich nähere mich langsam fahrend einer Bushaltestelle und auf einmal rennen aussteigende Menschen blind in mich rein, die doch noch gar nicht auf Höhe des Busses ist und schimpfen dann über rücksichtslose Raser!
Ich muss nun auch zugeben, dass ich viel und auch zu Hauptverkehrszeiten unterwegs bin, aber ich versuche immer regelkonform und vorausschauend zu fahren und mich nicht einer imaginierten Eile hinzugeben. Trotzdem sprechen mich immer wieder Menschen an, warum ich sie im Straßenverkehr nicht gesehen habe. Das kann ich dann nur entschuldigend so erklären, dass ich zu konzentriert auf mein Überleben achte, als das ich noch Bekannte als solche erkenne.
Das also ist mein Resümee an einem freien und sonnigen Samstag zuhause am PC!
Schönes Wochenende uns allen… und gute Fahrt oder Gehen!
Mandiro
Liebe Mandiro, das sind erschreckende Erfahrungen, die Du hier schilderst. Erstaunlich für Bremen.
Zu dem, was Du am Anfang schreibst: Ja, mich stört die wirklich teilweise heftig und intolerant geführte Diskussion zwischen den Fahrbahn-AktivistInnen und den anderen FahrradfahrerInnen, die ganz gerne ohne Stress durch die Stadt radeln möchten.
Leider hat sich in den vergangenen 20 Jahren die Fraktion in Bremen durchgesetzt, die findet, es sei sicherer auf der Fahrbahn zu radeln und die BremerInnen müssten lernen, das zu akzeptieren. Für den Staat ist das natürlich prima, weil viel billiger. Nur, wir dürfen uns dann auch nicht wundern, wenn der Anteil der RadlerInnen an allen Wegen zurück geht. Stress beim Radfahren ist nicht attraktiv.
Um aber hier mal die Hand auszustrecken, bitte ich die Fahrbahn-Fraktion, sich mit dem Thema „Geschützte Radfahrstreifen“ zu beschäftigen. Wir sollten weg von den „Schutz“-Streifen, den „Angebots“-Streifen und ähnlichen Konstrukten.
Der Bundesverband des ADFC hat da eine Idee, lass uns das näher untersuchen.
Vielleicht kann sich der AK Verkehr des Bremer ADFC das auch mal anschauen. Und genial finde ich, dass so ein geschützter Streifen auf der Fahrbahn stattfindet, und es eine Raum-Umverteilung vom Auto zum Rad gibt.
Liebe Grüße
Liebe Beatrix,
ich bin im Arbeitskreis Verkehr wie Du ja weißt und wir kümmern uns um Vieles, aber
das, was ich schildere, ist Alltag in Bremen: wenn mal ein Radfahrer auf dem Radweg mich nicht rechts überholt, sondern regelkonform klingelt, wartet bis Platz ist und links überholt, bekommt er oder sie von mir begeisterte Zurufe.
Von den AutofahrerInnen rede ich noch gar nicht: Frauen, die aufs Gaspedal drücken, wenn ich an einer Überführung stehe oder nach links hupend ausscheren und mir durch das geöffnete Fenster noch Belehrungen geben wollen, wo und wie ich zu fahren hätte…
Ich zeige solche Menschen dann an und durfte sogar mal ein Telefonat mit einer solchen Frau live miterleben, worin sie darüber belehrt wurde, wie ihr Verhalten bei den Ordnungshütern ankommt…
Das Spitzenbeispiel hat mir eine türkische Hochzeitsgesellschaft auf dem Domshof geliefert: selbige fuhr mit quietschenden Reifen 20 min lang quer über den Platz – gefilmt von Anwesenden, die so etwas lustig fanden. Ich habe per Handy die Polizei informiert, welche denn auch diese „heitere“ Veranstaltung auffliegen ließ…
in Bremen gibt es ganz viel „unmögliches“ Verhalten von allen möglichen VerkehrsteilnehmerInnen, aber wir hatten bisher dafür noch keine Plattform, wie eine Telefonschaltung beim Weser-Kurier zu diesem Thema – das wäre doch mal was ! Denn was ich hier beispielhaft erzähle, ärgert viele zwar maßlos, aber solange es nicht zu einem Straftatbestand der gefährlichen Nötigung kommt, gibt es auch keine Lobby dafür. Und viele Menschen erleben zwar diesen Ärger, aber zeigen ihn nirgendwo an oder auf, weil sie nicht an eine Wirkung glauben. Wenn ein Autofahrer auf der Autobahn sich gefährdend verhält und jemand das anzeigt, wird er sofort von der Bahn geholt, wie ich selbst erlebt habe durch eigenen Anruf, aber sind die Schwächeren beteiligt, geschieht – nichts. Und da im ADFC vor allem diejenigen RadfahrerInnen sind , die zu der Minderheit mutige RadfahrerInnen zählt, ist die Presse oder auch die Polizei die AnsprechpartnerInnen. Im Blockland wurde sogar schon ein extra Schild unter ein Tempo 30 Schild gehängt, um RadfahrerInnen daran zu erinnern, dass es auch für sie gilt. Kein Aprilscherz! Kannst du auf dem Truper Deich bei Lilienthal bewundern. Gute Manieren oder auch nur gute Kenntnisse der STVO und ihre Einhaltung sind häufig unpopulär. Ich musste in der Markusallee auch schon mal eine tägliche Horde Schulkinder durch die Polizei belehren lassen, die mich vom Rad haben wollten als ich zu der Zeit noch um deren Zeit in umgekehrter Richtung auf dem Beidrichtungsradweg unterwegs war zur Arbeit. Danach habe ich dann gebeten 1h früher zur Arbeit kommen zu dürfen… auch kein Witz! Ich bin mir sicher, dass viele Menschen in dieser Stadt viele solche Geschichten berichten können, so man sie denn ließe und ihnen zuhörte. Es gibt zwar Kurse für Kinder, aber nicht für Erwachsene, die auf dem Rad auffällig werden. Autofahrende müssen sich bei solchem Verhalten schon mal sagen lassen, dass sie für den motorisierten Verkehr wohl nicht geeignet seien und ihren Führerschein abzugeben hätten. LG Mandiro
Liebe Mandiro, das ist ein ernstes Thema, das Du hier ansprichst, aber nicht das zentrale Thema meines Posts. Mir geht es um die Bewertung der vom Bundesverband ADFC vorgeschlagenen geschützten Radfahrstreifen, protected bike lanes. Und ich fände es gut, wenn der AK Verkehr das mal behandeln könnte. Bin übrigens auch Mitglied des ADFC und bitte sozusagen meinen Landesverband, sich um dieses Thema zu kümmern.
LG Beatrix
Kann es sein, dass nicht der böse Mischverkehr das Problem ist, sondern ein nicht korrektes Verhalten anderer? In den Niederlanden wird ja schließlich auch ganz viel Radverkehr im Mischverkehr abgewickelt und die Niederlande sind ja laut ADFC gut für Radfahrer.
Nun, wenn man das begriffen hat, ist der Lösungsansatz nicht mehr, Radwege zu schützen, sondern Radfahrer zu schützen, indem man die Autofahrer aus dem Verkehr fischt, die sich nicht an die Regeln halten.
Bitte nicht von Straße reden, wenn Fahrbahn gemeint ist. Zur Straße gehört auch der Grünstreifen und Gehweg z. b.
Lieber Bebbi, ich rede immer von Fahrbahn, aber in wörtlichen Zitaten kann es andere Formulierungen wie z.B.. Straße geben. Die darf ich nur nicht ändern, wenn ich zitiere. Hat was mit wissenschaftlichen Grundsätzen zu tun.
Und das Thema „die Bösen rausfischen“: ein aufwändiges Verfahren, klappt schon beim illegalen Parken nicht. Besser gleich so gestalten, dass schlechtes Benehmen unmöglich gemacht wird.
Ich glaube, das Zaubersatz in Deinem Artikel ist „Der öffentliche Raum soll anders verteilt werden!“
Die Anforderungen sind in den letzen Jahrzehnten gestiegen: Fahrradanhänger, Lastenräder, höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten und höhere Geschwindigkeitsunterschiede (Pedelecs) –> Radfahrer wollen sich gegenseitig überholen. Da reicht die vorhandene Infrastrutkur – nämlich der klassische, schmale Hochbordradweg – einach nicht aus.
Ich kenne keinen (auch nicht aus dem Lager der Mischverkehrbefürworter), der Schutzstreifen gut fand oder gut findet.
Entscheidende der Satz im Zitat vom ADFC: „Geschützte Radfahrstreifen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie im Optimalfall die Breite einer ganzen Fahrspur einer Straße einnehmen.“ Und mal ganz ehrlich: wenn ich 2,75 Meter für den Radverkehr in eine Richtung habe, ist das immer geil: 2,75 Meter Bordsteinradweg oder 2,75 Meter Schutzstreifen oder 2,75 Meter Radfahrstreifen oder meinetwegen 2,75 Meter protected bike lane.
Es ist nicht ganz überraschend, dass eine 2,75 Meter protecetd bike lane verglichen mit einem 1-m-Schutzstreifen besser abschneidet…
Bei 2,75 Meter reicht wahrscheinlich auch ein Radfahrstreifen ohne „protected“, damit Radfahrer dort gerne fahren, aber ich hätte auch nichts gegen eine Art Abgrenzung einzuwenden.
Der Artikel lässt leider die Fragen offen, was die ideale Gestaltung in Straßen ist, die diese Querschnitte nicht hergeben.
Spot on, Karsten, Du hast meinen Lieblingssatz gefunden! Und wenn Du das mal zu Ende denkst, findest Du vielleicht auch die Antwort auf die Frage zur idealen Gestaltung von Straßenräumen, die „diese Querschnitte nicht hergeben“. Schmale Fahrbahnen bieten zu wenig Platz für wen oder was? Für Fahrräder mit ihren schmalen Silhouetten? Viel Spaß!
„Bei 2,75 Meter reicht wahrscheinlich auch ein Radfahrstreifen ohne “protected”, damit Radfahrer dort gerne fahren“
Das Problem ist, dass alles, was nicht protected ist, zugeparkt werden kann oder von KFZ-Fahrern „mal kurz“ zum halten, be- und entladen oder als inoffizielle Rechstabbiegespur benutzt werden kann.
Na ja, ich denke mal, „protected“ oder nicht hat beides Vor- und Nachteile. Das illegale Parken auf Rad- und Fußgängerinfrastruktur ist mit Sicherheit ein großes Problem und würde durch eine Abgrenzung verhindert werden. Ohne Abgrenzung ist allerdings Straßenreinigung und Schneeräumen einfacher und je nach Straßenquerschnitt und Funktion der Straße kann es auch sinnvoll sein, dass genug nutzbare Breite für Feuerwehr und Rettungsdienste übrig bleibt. Und die Kosten und damit auch die Geschwindigkeit beim Ausbau hat twisdu weiter unten ja auch schon angesprochen.
Aber wie schon gesagt: im Prinzip ist mir das egal, wer es schafft, Radfahrinfrastruktur in Autofahrstreifenbreite durchzusetzen, ist ein Held!