Diese Woche herrschte große Freude in Bremen: Bremen bekommt 2,4 Mio € aus Berlin, um sein Fahrradmodellquartier Neustadt wahr werden zu lassen. Wir hatten über dieses Projekt schon berichtet.
Und so verkündet der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr: „Das Fahrradmodellquartier „Alte Neustadt Bremen – von der Fahrradstraße zur Fahrradzone“ wird Realität. Jetzt sind die Förderbescheide für die Umsetzung bei der Bremer Umwelt- und Verkehrsbehörde (1.576.361 Euro) und bei der Hochschule Bremen (834.835 Euro), die sich gemeinsam beworben haben, eingetroffen.“ Die Gegend rund um die Hochschule in der Neustadt soll zur Fahrradzone umgestaltet werden, laut Konzept und Plan übrigens bis Ende 2018, laut Grüne Pressemitteilung bis Juni 2019.
Es sollen flächendeckend neue Fahrradstraßen ausgewiesen werden, es wird einen großen Zuwachs an Fahrradparkplätzen und ein Fahrradverleihsystem geben. Neue Stationen für Car-Sharing sollen eingerichtet und die Kreuzungsmöglichkeiten für Fußgänger an den umgebenden Hauptstraßen verbessert werden. Der Neustadtswall vor der Hochschule wird zur Begegnungszone, und das Quartier soll an die zukünftige Fahrrad-Premiumroute angeschlossen werden.
Merke: Die versprochenen Gelder kommen nicht etwa vom Bundesverkehrsministerium sondern vom Bundesumweltministerium. Denn das wesentliche Ziel des Berliner Finanztopfes bzw. des Bundeswettbewerb Klimaschutz durch Radverkehr ist die Reduktion von CO2-Emissionen bzw. Treibhausgasen, und das Rad als Schlüsselgröße oder auch „Klimastellschraube“ soll deswegen deutlich gefördert werden.
Und so liest sich das im Konzept für das Modellquartier:
„Es ist erklärtes Ziel der Stadt Bremen, eine Verringerung von Treibhausgasemissionen im Straßenverkehr durch die Erhöhung des Radverkehrsanteils am Modal Split von derzeit stadtweit 25% auf 30% zu erreichen. In dem geplanten Fahrradmodellquartier kann von 40% ausgegangen werden und es wird ein Anteil von über 50% angestrebt.“ Denn: „Im Modellquartier soll ein doppelt so hoher Beitrag an den CO2-Einsparungen im Verkehr erreicht werden, wie er für ganz Bremen durch Fahrradverkehr angestrebt wird. Dafür müssen 358 Tonnen CO2 eingespart werden. Dies entspricht 1.800.000 km Ersparnis von Wegen mit dem MIV bzw. einer Verschiebung des Modal Splits zugunsten des Radverkehrs von 40 % auf 50 % im Quartier.“
Interessanterweise hat jetzt auch der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr erkannt: „Bremen ist es bisher nicht gelungen, den für eine Großstadt von mehr als 500.000 Einwohnern bereits hohen Radverkehrsanteil von 25 % signifikant zu erhöhen.“ Und so soll jetzt offenbar die Neustadt das Labor für Maßnahmen zur Erhöhung des Fahrradanteils am Modal Share werden.
Woher jetzt die Zahl von 40% Fahrradanteil im betrachteten Modellraum kommt, wie sie ermittelt wurde, wird uns leider nicht erläutert. Wir können uns einige Zählmethoden vorstellen: Sichtbar sind z.B. einige Radzählstationen wie die an der Wilhelm-Kaisen-Brücke. Aber hier fluktuieren die Zahlen um mehr als 15% im Jahresvergleich. Und das muss auch eher als Durchgangsverkehr gewertet werden.
Aber ganz ab davon: Die Ziele dieser „ersten Fahrradzone Deutschlands“ sind lobenswert. Und ganz besonders wichtig ist, dass nun endlich die Verkehrsplanung mit der Klimaproblematik zusammen gedacht wird, vielleicht sogar der Verkehrsentwicklungsplan mit dem Klimaschutzkonzept. Revolutionär für Bremische Verhältnisse ist darüber hinaus, dass diese Ziele einer Evaluation hinsichtlich der Wirkung der Maßnahmen unterworfen werden sollen: „Es wird ein Monitoring-, Evaluations-und Controllingkonzept genutzt, das die übergeordneten ‚globalen‘ Fortschritte und Wirkungen im Gesamtradquartier hinsichtlich Klimaschutzziele, Radverkehrssituation, Umwelt- und Lebensqualität erfasst als auch die Umsetzungsschritte und -erfolge der geplanten Einzelmaßnahmen (Controlling). Im Falle des Controllings wird kontinuierlich überprüft, in welchem Maße und in welcher Qualität die geplanten Maßnahmen umgesetzt werden.“
Nach all dem Lob müssen wir nun aber doch ein wenig kritisch werden: Diese Neustädter Fahrradzone wird nicht autofrei sein. Sogar Durchgangsverkehr wird auch weiterhin erlaubt sein. Selbst in der angedachten Begegnungszone, die am Eingang der Hochschule entstehen und mit dem größten finanziellen Einzelposten von 760.000 € ausgestattet sein wird, wird nur eine Reduktion der Durchgangsverkehre „erhofft“.
Immerhin hat sich die Stadtgemeinde dazu durchgerungen, das illegale Parken abzuschaffen, das gerade in der Neustadt katastrophale Ausmaße annimmt: Fußwege und Einmündungen werden blockiert und Feuerwehr und Krankenwagen kommen oft nicht mehr durch.
Aber das legale Parken wird faktisch nicht eingeschränkt: „Trotz des Umbaus des Quartiers in ein Fahrradstraßenquartier werden keine legalen Stellplätze für den MIV reduziert.“ (3.1. im Konzept)
Der Knackpunkt ist natürlich das bisher geduldete illegale Parken in der Neustadt. Doch wozu müssen wir Steuergeld aus Berlin ausgeben, um gegen widerrechtlich geparkte Autos vorzugehen, wenn es lediglich einer kurzen, strikten Überwachungsmaßnahme im Stadtteil bedarf, um im Parkverbot stehende Kraftfahrzeuge abzuschleppen (wenn die Eigentümer auf „Knöllchen“ nicht reagieren)?
Ein anderer Schwachpunkt aus unserer Sicht ist die Ausgestaltung der Fahrradstraßen in Bremen, ein Problem, mit dem wir uns hier hinlänglich beschäftigt haben. Das Rückgrat des Modellquartiers soll die großflächige Anordnung von Fahrradstraßen im zentralen Bereich des Projektgebiets sein. Aber im Budget sind hierfür nur 24.000 € vorgesehen. Also wird es wohl wieder nur Schilder und ein bisschen Farbe (Piktogramme) geben. Werden die Fahrradstraßen dann doch nur gewählt, weil sie schick und trendy klingen? Wir sind gespannt auf das Evaluationsergebnis für diese Sparmaßnahme.
Außerhalb des zentralen Projektgebiets liegt die Lahnstraße, ein alter verkehrspolitischer Zankapfel in der Neustadt. Laut Modellkonzept ist die Lahnstraße eine der “Sammelstraßen in großflächig verkehrsberuhigten Bereichen mit starker urbaner Prägung“. Hier sollen immerhin 420.000 in die Hand genommen werden, um diese Fahrradstraße zu gestalten. Dort sind zurzeit alte, herunter gekommene Radwege auf der einen Seite und eine Radspur auf der Fahrbahn auf der anderen. Die Fußwege sind oft zu schmal, um ein nachbarschaftliches, urbanes Leben zu ermöglichen. Die lokalen Bürgerinitiativen haben hier seit Jahren für eine gut gestaltete Fahrradstraße gekämpft, und jetzt sehen sie endlich einen Silberstreifen am Horizont. Die Lahnstraße ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch lokale Initiativen und Einzelpersonen gehört werden, auch wenn das Fahrradmodellprojekt Neustadt jetzt nach außen hin im Wesentlichen von den lokalen Politikgrößen präsentiert wird.
Aber die Schwächen der Bremischen Version von Fahrradstraßen, wenn sie in gut frequentierten Straßenzügen angeordnet werden, bleiben leider auch hier bestehen. Wenn wir das jetzt mal mit Oslo vergleichen, das sein Stadtzentrum bis 2020 vollkommen autofrei gestalten will, womit die CO2-Emissionen bzw. die Treibhausgase um 50% reduziert werden sollen, dann sind die klima- und verkehrspolitischen Ziele der Bremischen Politik doch leider recht bescheiden.
Die Faszination der Fahrradstraße, die als verkehrsberuhigende Maßnahme wirken soll, scheint die Bremischen PlanerInnen und PolitikerInnen etwas blind zu machen für die Tatsache, dass es wirksamere Maßnahmen zur Förderung des Fahrradfahrens und zur Verringerung der CO2-Emissionen gibt. Natürlich müssen wir uns nicht diesem alt-backschen Kommentar aus Syke anschließen. Aber es muss die Frage erlaubt sein, ob die alten Rezepte des „zurück auf die Fahrbahn“ ohne Rauswurf des Durchgangsverkehrs (wenn schon nicht des gesamten MIV) überhaupt noch wirken können, zumal hier offenbar mit 40% Fahrradanteil bereits ein hoher Wert erreicht wurde (oder stimmt die Zahl gar nicht?).
Oder handelt es sich schlicht um das gute alte Bremische Rezept: Wir wollen wahnsinnig fortschrittlich sein, aber keinem wehtun, und schon gar nicht dem motorisierten Verkehr?
2 Gedanken zu „Grünes Licht für das Fahrradmodellquartier“
Kommentare sind geschlossen.