Bewohnerparken – Verkehrswende oder Autokomfortzone?

Nun ist es raus: Im neuen Bremer Koalitionsvertrag wird uns Anwohnerparken versprochen. Falschparken soll konsequent verhindert und die Praxis des aufgesetzten Parkens zurückgedrängt werden. Hurra! Hurra?


Illegal in der Bremer Neustadt (Foto: Beatrix Wupperman)

Konkret heißt es: „Wir werden konsequent den Parkraum bewirtschaften, d.h. wir werden die innenstadtnahen Bereiche bewirtschaften und Anwohnerparken ausweisen.“ (S. 40)

Aber langsam: Bewohner- oder Anwohnerparken ist super billig in Deutschland. Was soll das bringen?

In Deutschland: Parken zum Spottpreis

30,70€ für die Erlaubnis, sein Auto ganzjährig in seiner Wohnstraße parken zu dürfen in dem Wissen, Auswärtige aus seinem Quartier ausschließen zu können, das ist ein Spottpreis für einen Parkplatz.

  • Animiert diese Verwaltungsgebühr dazu, sein Auto abzuschaffen und den Umweltverbund inklusive Carsharing in einer Stadt wie Bremen zu nutzen?
  • Löst es die Platzprobleme, die die Autos aufwerfen, tatsächlich?
  • Gewinnen wir damit mehr Lebensqualität in unseren Wohnvierteln
  • oder schaffen wir nicht einfach Komfortzonen für die AnwohnerInnen, die ein oder mehrere Autos ihr Eigentum nennen?

Dies sind alles rhetorische Fragen, das wissen wir, und das wissen natürlich auch unsere PolitikerInnen, sei es in Bremen oder in Berlin. Trotzdem wird die Straßenverkehrsordnung in dieser Hinsicht nicht geändert, und lokale Initiativen werden das kurzfristig auch nicht bewirken können. Also müssen andere Konzepte für unsere Wohnquartiere her, Konzepte, die nicht nur mit monetären Anreizen arbeiten (Steuern, Gebühren oder ähnlichem) sondern mit qualititativen, mit anfassbaren Vorgaben und Angeboten und auch Einschränkungen.

Leitplanken für die Lebensqualität

Auf jeder Autobahn haben wir Leitplanken, um dem Autoverkehr gewisse Grenzen zu setzen. Solche „Leitplanken“ brauchen wir auch in unseren Quartieren, um die Lebensqualität für alle AnwohnerInnen zu verbessern.

Wir haben mittlerweile in allen dicht bebauten innenstadtnahen Wohngebieten Bremens mehr Unzufriedenheit über die Masse an geparkten Autos, über den Durchgangsverkehr und die allgemeine Benehmens-Unkultur des Autoverkehrs. Daraus sind in Bremen eine Reihe von Bürgerinitiativen entstanden, die allerdings mit Widerstand aus der auto-affinen Nachbarschaft und der Lethargie von Politik und Verwaltung zu kämpfen haben.


Straßenfest in der Biebricher Straße, Bremen-Neustadt 2015,  Foto: Beatrix Wupperman

Oft sind dies junge Eltern oder engagierte Großeltern, die vor allem für den Freiraum ihrer Kinder kämpfen, aber auch viele BewohnerInnen, die es leid sind, sich durch die illegal parkenden Autos schlängeln zu müssen.


Typische Bremische Straßen, Foto: Beatrix Wupperman

Sie rufen nach Bewohnerparken, nach Parkraumbewirtschaftung, nach temporären Spielstraßen und nach einer neuen Gestaltung ihres Quartiers, ihres Stadteils, ihrer Straßen.

„Anspruchsvolles Bewohnerparken“

Deswegen kann die Zielsetzung eines Bewohnerparkens nicht sein, nur alles beim Alten zu lassen und nur die BewohnerInnen vor Besucherverkehr, Durchgangsverkehr und Parkrowdies zu schützen. Es besteht die Gefahr, nur eine Komfortzone für die eigenen Autos zu schaffen, ohne die – auch ohne auswärtige Rowdies – unzumutbare Situation für Kinder und andere FußgängerInnen zu verbessern, ohne das Quartier zu einem Ort für Menschen zu machen. Wir brauchen so etwas wie ein „anspruchsvolles Bewohnerparken“.


Ideen, Foto: Beatrix Wupperman

Auf der Suche nach Lösungen, Foto: Beatrix Wupperman

Aber angesichts der „altbackschen“ bundesgesetzlichen Lage, die eine niedrige Deckelung der Bewohnerparkgebühren, genauer: eine schlichte Bearbeitungsgebühr vorsieht, müssen wir nach anderen Strategien bzw. begleitenden Maßnahmen suchen, wenn wir unsere Quartiere vom Auto-Tsunami befreien wollen.

Und da gibt es zwei Wege:

  1. Die Erweiterung des rein monetären Instrumentariums des klassischen Bewohnerparkens (1 Autostellplatz = 30,70€ pro Jahr) um lenkende Maßnahmen und Vergabekriterien.

oder/und

  1. Die völlige Umgestaltung von Kleinquartieren.

Zu 1.: Lenkende Maßnahmen und Vergabekriterien

  1. Anzahl der Park-Ausweise pro Haushalt oder Grundstück begrenzen: 1 oder 0,5 oder 0,3
  2. Angebot an legalen, also nutzbaren Parkplätze reduzieren, mglw. angelehnt an die Anzahl der Ausweise oder: Die legalen Stellplätze bleiben zunächst erhalten; allerdings sollten mindestens auf jedem 10. „Stellplatz“ Vorrichtungen für 5 Fahrradbügel montiert werden.
  3. Besucher- oder Externenparkplätze einrichten und mit Kosten belegen
  4. Fahrradabstellplätze auf der Fahrbahn inklusive Sonderplätze für Lastenräder einrichten (s. oben)
  5. Mobilpunkte des Carsharing im Anwohnerparkgebiet installieren, aber mit der Einrichtung eines Mobilpunktes oder -pünktchens für jedes bereit gestellte Fahrzeug 16 illegale Stellplätze via Poller beseitigen.
  6. Bewerbung von kostenpflichtigen Parkplätzen in Parkhäusern im Gebiet
  7. Und nicht zuletzt: konsequentes Unterbinden des illegalen Parkens
  8. Bei Neubauten im Quartier kommt die StellplatzVO ins Spiel, diese macht das Ausweisen von nahezu autofreien Quartieren fast unmöglich, aktuelles Beispiel ist das Hulsbergquartier.

Zu diesen Punkten gibt es schon Vorstellungen im Koalitionsvertrag (Hurra!):

 „Angesichts der innerstädtischen Flächenknappheit und zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität werden wir bisher als Parkraum benutzten öffentlichen Raum für andere Zwecke benötigen, wie z.B. Nutzung für andere Verkehrsteilnehmende und Frei‐ und Spielflächen. Wir möchten zudem mehr Parkraum für Fahrradstellplätze und Mobilpunkte für das Carsharing ausweisen.“ (S. 40)


Aber so darf es dann auch nicht aussehen, oder? Motorrad nutzt Fahrradabstellplatz 🙂  Foto: Beatrix Wupperman

„Wir werden Falschparken konsequent verhindern, insbesondere an Einmündungsbereichen. Die Praxis des aufgesetzten Parkens wollen wir zurückdrängen und dazu das Gespräch mit den Beiräten suchen. Hierbei ist auch Anwohnerparken einzubeziehen.“ (S. 41)

„Wir werden die Stellplatzverordnung mit dem Ziel modernisieren, zukünftig bei jedem Bauvorhaben einen verpflichtenden Anteil der Stellplätze durch Maßnahmen des Mobilitätsmanagements wie Carsharing oder Zeitkarten zu ersetzen. Das erleichtert autoarme oder autofreie Bauvorhaben. Um vor allem die neu zu planenden Wohnviertel von Autos zu entlasten, werden wir Quartiersparkplätze und ‐garagen für Autos einrichten.“ (S. 41)

 Zu 2.: Neue Gestaltung, neue Regeln

Für unsere Frage des anspruchsvollen Bewohnerparkens haben wir mittlerweile auch FreundInnen in Hannover. Hier fordert das Jamiel-Projekt eine Anwohnerzone mit qualitativen Hauptbedingungen, übrigens ganz nach einem katalanischen Modell in Barcelona und Vitoria-Gasteiz (und anderen Städten in Katalunien), den Superblocks. Die Jamiel-Gruppe hat schon viel Phantasie aufgebracht, um ihre drei Straßen zu verändern – planerisch natürlich (aber auch mit Aktionen und Straßenfesten), denn die Umsetzung muss noch kommen, auch gegen die typischen Widerstände. In dem von mir oben genannten Link findet Ihr eine pdf-Datei mit allen Details des Jamiel-Projekts.

Und was können wir daraus lernen? Wo können wir den Koalitionsvertrag weiter konkretisieren?

Dort, wo die Initiativgruppen nach einer Neuordnung ihrer Straßen rufen, bestehen die Wohnquartiere bereits, und sie sind völlig überlaufen mit Anwohner-Autos, Fremdverkehr inklusive Parken und Durchgangsverkehr. Der öffentliche Raum ist zum Auto-Raum verkommen, Platz für ein soziales Miteinander ist nahezu unmöglich. Ähnlich wie in Barcelona könnten diese Quartiere zu Superblocks erklärt werden, in denen die folgenden Regeln zusätzlich zu den Maßnahmen aus Punkt 1 und den Vorstellungen der Koalitionäre gelten:

  1. Durchgangsverkehr unterbinden durch Blockaden in den Straßenmitten, Einbahnstraßensystemen, die ein einfaches Durchfahren unterbinden und vieles mehr
  2. Durchgängig Anordnen von Schrittgeschwindigkeit für AutofahrerInnen: 10 km/h im Gebiet
  3. Einrichten von temporären Spielstraßen, die im Gebiet alternieren: Beispiel Montags Straße A, Dienstags Straße B, Mittwochs Straßen C und D etc.

Epilog

 Leute, wir rufen hier nicht die Revolution aus. Und wir sind mit unseren Forderungen nicht alleine, bundesweit entstehen (verbandsunabhängige) Initiativen wie der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, heute „Changing Cities“. In vielen Großstädten wachsen andere Radentscheide wie z.B. in Hamburg. Die großen Umwelt- und stadtpolitischen Forschungsinstitute wie das Umweltbundesamt (UBA) und das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) sind schon seit einigen Jahren dabei, Kriterien für die nachhaltige Zukunft unserer Städte zu entwickeln. Das Umweltbundesamt hat uns dankenswerter Weise mit seinen Studien „Geht doch!“ und „Die Stadt für morgen“ Ideen und Richtlinien für unsere städtische Zukunft aufgeschrieben, ein Leitbild für „eine kompakte, funktionsgemischte Stadt“ entwickelt. Und international rufen insbesondere Jan Gehl und sein Büro nach „Städten für Menschen“.

Packen wir es an! Jetzt oder nie.