Männer und Frauen – Der kleine Unterschied beim Radfahren

„Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen,“ schrieb die österreichische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Rosa Mayreder (1858 – 1938).

Englische Radrennfahrerinnen 1

Die ersten Radfahrerinnen stammten aus reichen Familien und nutzten die Möglichkeiten den einschränkenden Sitten und Gebräuchen zu entfliehen. Es war eine neue Freiheit, die den Frauen durch das Rad möglich war. In Bremen waren es Ricarda Huch und Aline von Kapff, die sich vor weit über 100 Jahren mit ihrem Fahrrad ihre Freiheit eroberten.

Frauen radeln anders

Was auf den ersten Blick wie ein geschlechterneutrales Verkehrsmittel aussieht, ist es auf den zweiten Blick ganz und gar nicht. Viele Frauen haben ein defensiveres Fahrverhalten und ein höheres Sicherheitsbedürfnis. Betrachtet man die verkehrspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre wird Fahrradpolitik in erster Linie für junge, männliche Schnellradler gemacht. Das Radfahren auf der Fahrbahn mag für einige Radfahrende eine Verbesserung darstellen; wenn man mutig und schnell mit dem Autoverkehr fährt. Langsam Fahrer oder ängstlichere Menschen empfinden eine gemeinsame Fahrbahn für Autos und Fahrräder jedoch als gefährlich und werden von AutofahrerInnen oftmals als Hindernis wahrgenommen, dem man mit aggressivem Drängeln und Hupen zu Leibe rückt.

Frauen sind verletzlicher

In Abbiegesituationen kommen Radfahrerinnen dann immer öfter „unter die Räder“„Zwei Drittel der bei einem Abbiegeunfall beteiligten Radfahrer waren laut einer Auswertung der GDV-Unfalldatenbank Frauen, 40 Prozent über 65 Jahre alt, die meisten mit höchstens Tempo 15 unterwegs.“

Auch eine Untersuchung in Großbritannien kommt zum gleichen Schluss. „Frauen scheinen verletzlicher zu sein, vielleicht weil sie weniger bereit sind, die Fahrspur für sich zu beanspruchen und so im Rinnstein landen. 10 von 13 im Jahr 2009 im Straßenverkehr von London getöteten Radfahrer waren Frauen und 8 von ihnen durch linksabbiegende Lkw.“ (Linksabbiegende Lkw, da Linksfahrgebot in Großbritannien)

Die meisten Frauen wollen abgetrennte Radwege

Diese Zahlen belegen, dass besonders Frauen abgetrennte Radwege für ihre Sicherheit brauchen und dies auch wünschen. „Ca. 76 % der Frauen, die bereits mit dem Rad fahren oder damit beginnen wollen, sagten aus, dass sie auf abgetrennten Radwege mehr Rad fahren würden.“

 

Amsterdam, Foto: Gudrun Eickelberg

Bremen kümmert sich wenig um die Wünsche von Frauen

Die Verkehrsplanung in Bremen geht jedoch in keiner Weise auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Radfahrenden ein, seien es Kinder, ältere Menschen und eben Frauen. Die in neuerer Zeit angebotene Infrastruktur ist auf den jungen, sportlichen (meistens männlichen) Radfahrer ausgerichtet, der sich ohne Sorgen ins Getümmel stürzt. Immer wieder werden Beschwerden von Frauen laut, die bestimmte Straßen als Radfahrerinnen meiden.

Dazu gehört auch die Fahrradstraße Parkallee, die durch illegales Parken eingeengt und durch zahlreichen Durchgangsverkehr von Autos belastet wird. Hier sehen sich RadfahrerInnen immer wieder mit dem Überholen weit unter dem Mindestabstand von 1,50 m, aggressivem Drängeln, Hupen und Beschimpfungen ausgesetzt. Ein ähnliches Bild bietet sich in der Fahrradstraße Humboldtstraße:

Generell werden in Bremen in neuerer Zeit „Fahrradstraßen light“ angeboten, die wenig mit den sorgfältig entwickelten Fahrradstraßen der ersten Jahre zu tun haben. Sie haben aber viel mit dem Drängen einer bestimmten Gruppe von Aktivisten zu tun, die das Rad unbedingt auf der Fahrbahn führen wollen.

Auch eine wie in Bremen geplante grüne Welle für RadfahrerInnen geht von einer Geschwindigkeit ab 18 km/h aus – die meisten Frauen fahren langsamer. Die Idee ist generell natürlich gut, die Ausführung aber wieder einmal „light-headed“.

Verkehrsplanung muss weiblicher werden

Die erfolgreiche Umsetzung von Gender Mainstreaming im Verkehrsbereich ist besonders in einer Zeit der immer weiteren Differenzierung von Haushaltsstrukturen und Lebensstilen ein Qualitätsmerkmal von Planung und Politik. Zu einer gerechten Verkehrsplanung gehört die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer. Es ist absurd, dass bei der Fahrradinfrastruktur die Wünsche und Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung – nämlich der Frauen – nahezu unberücksichtigt bleiben. Verkehrsplanung muss weiblicher werden. Mit ausreichend Platz, sicher, ohne Ängste, gleichberechtigt und in gutem Miteinander.

12 Gedanken zu „Männer und Frauen – Der kleine Unterschied beim Radfahren

  1. Interessante Debatte. Und Danke Strizzi für die Wortanreicherung: risikointolerant und verantwortungsvoll, das triftt es wirklich. Ich meine mich zu erinnern, dass die US-amerikanischen AutorInnen mit „traffic-intolerant“ arbeiten.

    Im Rückschluss können wir über die Bremische Fahrradpolitik vielleicht sogar sagen: Risikoblind und verantwortungslos. Beispiel: Parkallee. Aber das soll sich wohl hoffentlich mit der neuen Vorstandsvorsitzenden des Bremischen ADFC ändern. Eine Frau, juhu!!!

  2. Oh Gott, klischeemäßiger geht es ja nun wirklich nicht mehr. Der Text erinnert an die Fünfzigerjahre und erweckt den Eindruck als ob die Linie zwischen Angst und Wohlfühlen auf Radstreifen einfach zwischen den Geschlechtern verlaufen würde.

    Wieso versuchen manche Menschen, überall Geschlechterunterschiede zu konstruieren? Das ist viel zu monokausal gedacht, denn Menschen und ihr Radfahrverhalten lassen sich nicht auf ihr Geschlecht reduzieren.

    Fakt ist: Zu viele MENSCHEN fühlen sich auf Radfahrstreifen unsicher.

    1. Zahlen und Fakten aus aktuellen Befragungen zeigen aber deutlich, dass Männer und Frauen häufig unterschiedliche Anforderungen an die Fahrradinfrastruktur haben. Natürlich gibt es auch Frauen, die diese Bedürfnisse nicht haben, aber es ist ein signifikantes Problem, dass auch Eingang in die Verkehrsplanung haben sollte.

    2. Kim, Du hast natürlich Recht, dass sich viele Menschen, ob Frauen, Männer, Kinder, unsicher auf den so genannten Schutzstreifen oder Angebotsstreifen fühlen. Das zeigt auch eine bundesweite Studie des BASt (Bundesanstalt für Straßenwesen). Es zeigt aber auch, dass nahezu die Einzigen, die diese Streifen oder das Fahren auf der Fahrbahn bevorzugen, Männer in der Alterskohorte 18 bis 44 sind. Oder genauer: 96% fahren weiterhin auf dem Radweg, auch wenn er nicht benutzungspflichtig ist. Und die 4% kommt laut BAST exakt aus der Gruppe, die ich oben beschrieben habe. Andere Studien sagen auch, dass der Anteil der Frauen unter den Radfahrenden immer ein Indikator für die Qualität der Radinfrastruktur ist. Deswegen siehst Du z.B. in Großbritannien kaum Frauen Fahrrad fahren. Wir beschreiben hier mit unserem Post die Tendenz, nicht ein absolutes Gesetz.

  3. Oh Gott, klischeemäßiger geht es ja nun wirklich nicht mehr. Der Text erweckt den Eindruck als ob die Linie zwischen Angst und Wohlfühlen auf Radstreifen einfach zwischen den Geschlechtern verlaufen würde.

    Wieso versuchen manche Menschen, überall Geschlechterunterschiede zu konstruieren? Das ist viel zu monokausal gedacht, denn Menschen und ihr Radfahrverhalten lassen sich nicht auf ihr Geschlecht reduzieren.

    Fakt ist: Zu viele MENSCHEN fühlen sich auf Radfahrstreifen unsicher.

  4. Bei diesen Zahlen aus England musste ich an diesen Post denken.

    „Painting a stagnant picture of cycling rates, which have remained relatively flat over the past 15 years, 96% of local authorities reported that less than 20% of their adult population cycled at least once a week.

    The primary reason for this flat trend is fear of cycling on the roads. Some 62% of adults in England believe the conditions to be “too dangerous”, with that figure rising to 69% of women. The trend to feel vulnerable on the road also ramps up with age.“

    https://cyclingindustry.news/barriers-to-cycling/

  5. Hei. Schöner Artikel. Frauen und Fahrrad ist ein wichtiges, leider sehr unterbelichtetes Thema.

    Insgesamt ist Verkehr ein sehr männlich dominiertes Thema. Wir haben mit Regine Günther in Berlin die erste etatmässige Verkehrsministerin seit mehr als 70 Jahren.
    Gleichberechtigung in Deutschland.
    M.M.n. liegt das daran, dass Verkehr das Miteinander im Öffentlichen Raum organisiert. Inzwischen ist Frauen, auch ohne Begleitung, der Öffentliche Raum zwar erlaubt, aber mitbestimmen, dazu gibt’s das Ressort Familie oder Ernährung.
    Also nicht Saudi-Arabien, aber auch nicht so weit weg davon.

    Mir ist aufgefallen, dass oben z.T. einige typische sprachliche männliche (positiv) und weibliche (negativ) Stereotypen aus der männlich dominierten Radverkehrsdiskussion wiederholt werden.

    „Mutig“ (das sollen die sein, die auf der Fahrbahn radeln, meist Männer). Ich persönlich finde es nicht mutig, sich für den Kick der Gefahr oder des Speeds ins Risiko zu begeben. Es ist vielleicht doch mehr Leichtsinn, manchmal natürlich wegen fehlender und unangemessener Radinfra erzwungener Leichtsinn. Aber beides, „mutig“ (sprachlich assoziiert mit „bewundern“) und „leichtsinnig“ ist entweder emotional überaus positiv oder aber negativ eingefärbt.

    Für eine sachliche Darstellung sind beide Adjektive deshalb nicht gut geeignet.
    „Risikotolerant“ halte ich für das neutralere und hier deshalb angebrachtere Adjektiv.

    Ebenso, nur andersum, „ängstliche“ Menschen (das sollen die sein, die sich lieber nicht unter schnellfahrende, gern mal abgelenkte Autofahrer mischen, oben im Zusammenhang Frauen).
    Natürlich ist „ängstlich“ negativ besetzt (oft assoziiert mit „irrational“). „Risikointolerant“ träfe das Verhalten besser, da es nicht auf das Wecken von negativen Emotionen abzielt, sondern den Weg zur rationalen Beurteilung bzw. Begründung offen lässt.
    Denn risikointolerant sind wir zunehmend dann, wenn wir Verantwortung für andere Menschen haben.
    Diese soziale Verantwortung für Andere, seien es die besonders „verantwortungsbedürftigen“ Kinder, seine es (pflegebedürftige) Eltern, sei es soziale oder berufliche Verantwortung für andere Menschen, ist geschlechtermässig ungleich verteilt, hier stehen meist Frauen in der Verantwortung.

    Vielleicht macht sie das verantwortungsvoller. Sie wissen und erfahren oft täglich, sie werden von anderen Menschen gebraucht und ihnen sind diese Menschen wichtig. Daraus ergibt sich ein Selbstwertgefühl, das sie dann nicht, oder jedenfalls viel weniger, durch das Zeigen von (bewundernswerten) „Mut“ erlangen müssen. Vielleicht liegt hier ein Grund, dass Frauen im Allgemeinen im Strassenverkehr risikointoleranter („ängstlicher“) sind.
    Weil sie es sich wert sind.

    1. Lieber Vorstadt Strizzi,

      Du hast natürlich vollkommen Recht. Danke. Wie man (frau) doch so oft in den eigenen erlernten Denkstrukturen stecken bleibt!

      1. Danke.
        Ich hatte mich schon auf mansplaining abgeklopft (Man kann nie wissen 😉 ).
        Aber: Dieses in der Radverkehrsdiskussion verbreitete Framing „mutig“ (Fahrbahn) vs „ängstlich“ (geschützte Infra) triggert mich schon länger – egal ob von Frauen oder Männern.

Kommentare sind geschlossen.