Nach Corona – Zur Zukunft des öffentlichen Raums

Der Schock durch Corona ist in der jüngeren Geschichte nur vergleichbar mit dem der Anschläge des 11. September 2001. In beiden Fällen wurden fast über Nacht neue Regeln und staatliche Befugnisse etabliert. Diesmal geht es zwar nicht um Terrorismusbekämpfung, sondern um Seuchenprävention. Betroffen sind aber auch diesmal fast alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Die Coronakrise wird sich insbesondere auf die zukünftige Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raums auswirken. Denn wegen des Infektionsschutzes müssen voraussichtlich auch nach der Phase strenger Ausgangsbeschränkungen auf absehbare Zeit die Abstandsregeln eingehalten werden.

Zu Fuß unterwegs in der Mindener Straße – kein Ausweichen möglich

Noch haben wir es aber in der Hand. Wir können entweder weitere Beschränkungen des öffentlichen Raums zulassen oder durch seine Neuverteilung eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen. Dies könnte mit einer Verkehrspolitik Hand in Hand gehen, die den Mensch in den Mittelpunkt stellt und zugleich Luftreinhaltung und Klimaschutz besser berücksichtigt. Der Fußgängerverkehr kann gefördert werden, indem auf Gehwegen ausreichend Platz eingeplant wird. Die Kapazitäten des ÖPNV und der Bahn müssen erhöht werden, um Ansteckungsrisiken zu minimieren. Autospuren können für Fahrräder reserviert werden, um Sicherheit und Abstände zu gewährleisten.

  1. Reflexartige Reaktionen auf Corona

Wenn Menschenleben gerettet werden müssen, ist zunächst keine Zeit für langes Nachdenken. Wegen der Konzentration auf akut vordringliche Aufgaben kommt die Diskussion, wie unser Leben mit Corona und nach den Ausgangsbeschränkungen mittel- und langfristig aussehen könnte, auch nur zögernd im Gang. Aber auch die Ausgehbeschränkungen selbst wirken sich nachteilig auf die Meinungsbildung aus: Öffentliche Vorträge und Debatten, Demonstrationen und selbst Treffen unter FreundInnen und Gleichgesinnten und finden nicht mehr oder nur noch online statt.

Während die Anschläge vom 11. September viele staatliche Eingriffe in die Privatsphäre zur Folge hatten, betrifft die Corona-Pandemie vor allem unsere Freiheiten in der Öffentlichkeit. Corona beeinträchtigt dabei neben der Öffentlichkeit als Forum der gesellschaftlichen Selbstverständigung auch ganz konkret den öffentlichen Raum in unseren urbanen Quartieren. Mit anderen Worten: unseren Lebensraum jenseits der privaten Wohnung, in dem wir uns im Alltag frei bewegen. Die Maßnahmen sind aufgrund der aktuellen Notsituation zwar gerechtfertigt, aber durchaus einschneidend:

  • In Bremen sind Ansammlungen von mehr als zwei Personen verboten.
  • Der Kontakt der Menschen untereinander ist auf ein Mindestmaß zu beschränken.
  • In der Öffentlichkeit ist ein Abstand von 1,5 Metern einzuhalten.
  • Die öffentlichen Verkehrsmittel sind mit gewissen Einschränkungen weiter in Betrieb. Aber viele Menschen meiden sie.

Dass der öffentliche Raum bedroht ist und Einschränkungen unterliegt, ist an sich nichts Neues. Schon vor Corona gab es Privatisierungen der Öffentlichkeit, die sich im grundrechtseinschränkenden Hausrecht von Shopping Malls manifestiert haben oder in der Beanspruchung eines Großteils des öffentlichen Straßenraums durch private Kraftfahrzeuge, SUVs, Wohnmobile. Der technikfreie, zu Fuß gehende Mensch ebenso wie die FahrradfahrerIn: Beide wurden mit ihren vielfältigen Mobilitätsbedürfnissen buchstäblich an den Rand gedrängt und auch im übertragenen Sinne marginalisiert. Wieso sollten diese im Alltag eingeübten Reflexe, dass die Empfindlichkeiten von FußgängerInnen und RadfahrerInnen gegenüber dem (Auto-)Verkehr nachrangig zu behandeln seien, im Krisenfall anders ausfallen?

  1. Phase der Krisenreflexion

Die politische und zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit muss nun, nachdem der erste Schock vorbei ist, darüber nachdenken, was sich durch Corona an der Nutzung des öffentlichen Raums verändert, wie es nach der akuten Krisensituation weitergehen soll und was für Schritte nötig sind, um gleiche und freie Teilhabe und Infektionsprävention zu vereinbaren. Noch sind die Straßen leer; noch ist Zeit, neue Regelungen zu treffen und einzuüben. Denn früher oder später müssen die strengen Ausgehbeschränkungen zurückgenommen werden. Bis dahin sollten wir unseren öffentlichen Raum so eingerichtet haben, dass trotz drastisch erhöhter Abstandserfordernisse für alle genug Platz ist.

Nun sind die oben aufgeführten Maßnahmen lediglich vorübergehend. Wieso sollte durch Corona der öffentliche Raum also dauerhaft eingeschränkt werden? Nun, Beobachtungen in meinem eigenen Bekanntenkreis lassen vermuten, dass wir uns auch nach Lockerung dieser Maßnahmen anders als vorher im öffentlichen Raum bewegen werden: Während manche meiner Bekannten in Berlin oder Bremen vom ÖPNV auf das Fahrrad umstiegen oder nun längere Strecken zu Fuß zurücklegen, nehmen andere Bekannte, die aus ökologischen Gründen bislang mit dem Umweltverbund unterwegs waren, inzwischen ihr Auto, praktizieren Car-Sharing oder leihen sich einen Mietwagen. Um „andere nicht anzustecken“, sagte ein Bekannter zu seiner Verteidigung. Wer nicht ohnehin zu Hause in seinen privaten vier Wänden bleiben kann, wagt sich oft nur noch in seinem Auto in den Verkehr.

Zugleich denken viele Menschen schon über ihren Sommerurlaub nach. Die Campingbranche erhofft sich nach Aussage des Caravaning Industrie-Verband Deutschland (CIVD) mittelfristig einen Wettbewerbsvorteil des Wohnmobils gegenüber dem Urlaub mit Massenverkehrsmitteln.[1] Schließlich könnten sich Menschen Wohnmobile kaufen, um Ansteckungen in Hotels oder Pensionenund in Verkehrsmitteln wie Flugzeug, Bahn oder Bus zu vermeiden.

  1. Wir stehen an einer Wegscheide hinsichtlich des öffentlichen Raums

Die aktuelle Entwicklung ist noch zu frisch, um definitive und objektive Rückschlüsse auf Verhaltensänderungen zu ziehen. Die Vermutung liegt jedoch nahe: Das Auto oder Wohnmobil könnte noch mehr zu einer Enklave der Privatheit im öffentlichen Raum werden als bisher, nämlich zu einer Art Infektionsbarriere, notfalls sogar zu einer mobilen Quarantänestation. Das ist alles durchaus verständlich und nachvollziehbar. Die Risiken des Virus und der ungehinderten Ansteckung sollen hier gar nicht heruntergespielt werden. Auch nicht, dass Risikogruppen sich von privaten Kraftfahrzeugen mehr Kontrolle erhoffen und sich besser geschützt sehen als in öffentlichen Verkehrsmitteln, jedenfalls solange deren Überfüllung zu befürchten ist.

Andererseits lässt sich zunächst auch eine andere, gegenläufige Entwicklung erkennen: Durch die Ausgangsbeschränkungen hat sich die Zahl der VerkehrsteilnehmerInnen insgesamt verringert. Dadurch wird der Straßenraum zunächst ungeregelt und wildwüchsig, aber auch wieder frei für lange Verdrängtes. So kursieren im Internet Videos von Tieren, die sich den Straßenraum zurückerobern, etwa Ziegenherden auf den Straßen einer walisischen Kleinstadt, die über Kreuzungen traben und sich an akkurat gestutzten Hecken der Vorgärten gütlich tun.[2] Auch FahrradfahrerInnen, die zur Arbeit müssen, können sich in Berlin und anderen großen Städten auf den kaum mehr von Autos befahrenen mehrspurigen Ausfallstraßen auf eine Weise entfalten, wie dies seit langem nicht mehr möglich war. Und FußgängerInnen genießen die frische Luft nach zwei Wochen ohne Staus und Stoßzeiten.[3]


Mehr Platz für Fuß und Rad – jetzt! Foto: Olaf Dilling

Ähnlich wie beim Umgang mit knappen Gütern, wo sich Hamsterkäufe ebenso beobachten lassen wie das solidarische Nähen von Gesichtsmasken oder Nachbarschaftshilfe beim Einkaufen, führt die Krise zu gegensätzlichen Reaktionen: Während viele sich ängstlich oder auch verantwortungsvoll ins Private rückziehen, können einige zugleich die Möglichkeiten nutzen, die das Freiwerden des öffentlichen Raums zumindest vorübergehend bietet. Früher oder später wird es jedoch nötig sein, wieder zum Alltag überzugehen. Nach aktuellen Prognosen kann damit nicht gewartet werden, bis die Durchseuchung oder Impfung eines Großteils der Bevölkerung eine Ansteckung Gefährdeter unwahrscheinlich macht. Das heißt, dass die Straßen sich wieder füllen werden und sich die Frage verschärft stellen wird, wie dabei trotzdem die notwendigen Abstände einzuhalten sind.

Dafür muss politisch ein neuer Rahmen gesetzt werden. Dieser Rahmen sollte idealerweise allen eine freie und verantwortliche Nutzung des öffentlichen Raums ermöglichen, ohne sich der Dynamik einer selbstverstärkenden Privatisierung unterzuordnen. Denn je mehr Menschen im öffentlichen Raum wieder oder sogar verstärkt mit Autos und Wohnmobilen unterwegs wären, desto weniger Platz bliebe für die anderen unbewehrten Menschen. Das wiederum würde den „Run“ auf individuelle Mobilität verstärken. Auf der Strecke blieben dabei Kinder, Alte, Arme und viele andere, die keine Möglichkeit zur Nutzung eigener Autos haben oder sich sinnvollerweise irgendwann mal zur Abschaffung des privaten Autos entschieden haben.

  1. Andere Städte tun was

Die Corona-Krise führt aufgrund der Abstandsregeln nicht nur zu einer Verknappung des öffentlichen Raums. Sie demonstriert wegen der Ausgangsbeschränkungen zugleich, wie ungleich der öffentliche Raum bisher verteilt ist: Gerade in Großstädten grenzen überfüllte Parks und Gehwege zurzeit oft an leere mehrspurige Straßen und Kreuzungen. Und auf dem Land wird der Mangel an Bussen, Rad- und Fußwegen nun besonders deutlich. Mit anderen Worten: Wenn angesichts der neuen Situation keine verkehrs- und straßenplanerischen Vorkehrungen zur Entschärfung der Infektionsgefahr getroffen werden, ist zu erwarten, dass viele VerkehrsteilnehmerInnen mangels akzeptabler Alternativen auf den motorisierten Individualverkehr umsteigen.

Die Situation ist jedoch durchaus auch hoffnungsvoll. Gerade in den letzten Tagen, also Ende März, Anfang April 2020 kamen die guten Botschaften für den öffentlichen Raum. Leider kamen sie fast ausnahmslos aus dem Ausland: Aus Bogotá,[4] aus Kanada,[5] aus New York,[6] aus Paris[7] und Wien.[8] Überall dort wurden offiziell Fahrbahnen für Fuß und Rad geöffnet. Dadurch konnte das Bedürfnis der BürgerInnen nach Bewegung und frischer Luft befriedigt werden. Zugleich war es möglich, die Abstandsregeln halbwegs zwanglos einzuhalten.Darüber hinaus gibt es in New York anlässlich der Corona-Krise noch weitergehende Überlegungen für ein „Network of Quiet Streets“.[9] Die Idee ist, die Quartiere durch stille Seitenstraßen zu vernetzen, die zumindest für den Durchgangsverkehr gesperrt werden.

In Berlin klagten am Wochenende dagegen viele Menschen bei gutem Wetter über überfüllte Parks, in denen das noch erlaubte Joggen kaum noch möglich war. Auf dem Weg dahin quälten sich die Menschen über volle Bürgersteige, vorbei an fast autofreien Straßen. Der Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V. empfahl daraufhin den FußgängerInnen, auf übersichtliche und freie Fahrbahnen auszuweichen, wovor die Berliner Polizei umgehend und unter Androhung von Ordnungswidrigkeitsverfahren warnte.[10] Immerhin wurden in Berlin in Reaktion auf die Corona-Krise schon vor Tagen unbürokratisch Fahrspuren für Fahrradfahrer ausgewiesen. Nachdem der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zunächst ein Pilotvorhaben erfolgreich abgeschlossen hatte,[11] zogen weitere Bezirke nach.[12] Die Deutsche Umwelthilfe sowie Changing Cities fordern nun allgemein in den Städten mehr Platz für Fuß- und Radverkehr.[13]

  1. Bremen verschläft seine Möglichkeiten

Im Gegensatz dazu scheint Bremen, eine Stadt, die sich ansonsten um eine nachhaltige Verkehrspolitik bemüht, diese aktuelle Entwicklung zu verschlafen. Damit wird die Bremer Verwaltung ihrer Verantwortung für die Gesundheit der BürgerInnen nicht gerecht. Nach Auskunft des Referats Verkehrsüberwachung des Bremischen Ordnungsamtes (Email vom 31.3.2020) sind in der Hansestadt an der Weser keinerlei Maßnahmen zur Ermöglichung der Abstandsregeln im Fuß- und Fahrradverkehr geplant. Im Gegenteil soll sich der Vollzug im Verkehr auf das Freihalten von Flucht- und Rettungswegen, Krankenhauszufahrten, Sperrflächen und Kreuzungsbereichen beschränken. Die allgemeine Verkehrsüberwachung, insbesondere die Aufgabe, Fußwege von Falschparkern freizuhalten soll, demnach erst wieder „nach der überstandenen Krise“ – wie dem Schreiben zu entnehmen ist, „in gewohnter Qualität“ fortgeführt werden (was für Eingeweihte in die notorisch nachlässige Bremische Praxis der Überwachung des ruhenden Verkehrs wie eine versteckte Drohung klingen muss).

Es war auch ein fatales Signal, den Fahrplan des Öffentlichen Personennahverkehrs der BSAG auszudünnen, so dass zu Stoßzeiten zu Anfang der Corona-Krise mit überfüllten Bussen zu rechnen war.[14] Denn unter diesen Voraussetzungen war absehbar, dass gerade verantwortungsbewusste Menschen, die im Gesundheitswesen oder in kritischen Infrastrukturen arbeiten, ins Auto gedrängt werden. Bekanntlich ist Verlässlichkeit bei öffentlicher Infrastruktur ein entscheidender Faktor. Trotz des geringeren Bedarfs hätte der Fahrplan eingehalten werden müssen, um die Busse und Straßenbahnen leerer zu halten, um damit Sicherheitsabstände möglich zu machen und KundInnen nicht dauerhaft zu verprellen.

  1. Unvereinbarkeit vonAbstandsregeln und rechtswidrigem Gehwegparken

Am 24.03.2020, also wenige Tage nach Erlass der Abstandsregeln in Form einer Allgemeinverfügung, ist in Bremen eine Richtlinie zur barrierefreien Gestaltung baulicher Anlagen des öffentlichen Verkehrsraums veröffentlicht worden. Als Mindestbreite für Gehwege sind immerhin die in der einschlägigen Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) vorgeschlagenen 1,80 m vorgesehen. Gemeint ist genaugenommen die einheitlich glatt gepflasterte sogenannte Gehbahn in der Mitte von Gehwegen. Dazu kommen als weitere Teile des Gehwegs die beidseitigen Schutzstreifen von insgesamt regelmäßig 70 cm (20 cm zur Grundstücksgrenze, wo typischerweise kleinteilig gepflastert wird und oft Fahrräder oder Mülltonnen abgestellt werden sowie 50 cm bis zur Bordsteinkante, wo viel zu oft illegal aufgesetztes Parken geduldet wird).

Demnach müssten Bremer Gehwege im Regelfall insgesamt 2,50 m von der Grundstücksgrenze bis zur Bordsteinkante breit sein. Da dies schon die Mindestbreite ist, um ungestörten Begegnungsverkehr zu ermöglichen, darf an sich nur auf erheblich breiteren Gehwegen aufgesetztes Parken angeordnet bzw. erlaubtwerden. In Bremen sind diese vorgeschriebenen Gehwegbreiten aufgrund der Enge der Straßen in Reihenhausvierteln wie Findorff, Schwachhausen, der Neustadt oder dem Viertel vollkommen utopisch. In fast allen Straßen dieser Stadtteile werden die schon nach den gängigen Standards viel zu schmalen Gehwege auch noch zusätzlich rechtswidrig durch geduldetes, aufgesetztes Parken eingeschränkt. Obwohl diese Rechtswidrigkeit offensichtlich ist, lässt die Stadt es aktuell auf Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ankommen: Die drei Klägerparteien wohnen alle in Straßen, auf denen systematisch auf ordnungswidrige Weise beidseitig aufgesetzt geparkt wird. Dadurch werden die Gehsteige extrem verengt. Daher klagen sie mit dem Ziel, die effektive Durchsetzung freier Gehsteige in ihren jeweiligen Straßen zu erreichen.

7. Die aktuelle Richtlinie sieht nur 20cm Abstand zwischen FußgängerInnen vor

Dies alles galt bereits für die Zeit vor der Corona-Krise. Allerdings sind nach den Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, auf denen die neu für Bremen beschlossene Richtlinie beruht, als Abstand der FußgängerInnen im Begegnungsverkehr lediglich 20 cm eingeplant. Die aktuellen Maßnahmen fordern dagegen einen Abstand von 1,50 m. Daher müssten die Fußwege während der Corona-Krise, um sicher Abstand beim Passieren zu bieten, eigentlich mindestens 3,80 m breit sein. Nun mag es weltfremd erscheinen, wenn die Stadt ihre normale Stadt- und Straßenplanung am Krisenfall ausrichtete. Noch irritierender ist jedoch, dass im Krisenfall noch nicht einmal vorübergehende Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, um das Problem der de facto viel zu engen Fußwege in Bremen zu lösen.

8. Fazit

Die oben genannten Beispiele der anderen Städte sollten insofern sofort Schule machen. Zumindest wäre es angezeigt, nun im ganzen Stadtgebiet das aufgesetzte Parken zu verbieten und im Gegenzug mehr Park&Ride-Möglichkeiten einzurichten. Dem Beispiel Berlins folgend, sollten zusätzlich an geeigneten Straßen, etwa der Parkallee oder den sogenannten Heerstraßen ad hoc geschützte Fahrstreifen für FahrradfahrerInnen auf der Straße ausgewiesen werden, um ihnen Möglichkeiten zu bieten, sicher und gesund durch den Straßenverkehr zu kommen. Dadurch würde auch der Verteilungskampf zwischen FahrradfahrerInnen und FußgängerInnen entschärft.

Dass die Verkehrsüberwachung in Bremen für die Dauer der Krise das Falschparken auf Fuß- und Fahrradwegen duldet, ist absolut inakzeptabel. Selbst der wenige, dem Fuß- und Fahrradverkehr nach dem Gesetz zur Verfügung stehende Raum wird dadurch widerrechtlich enteignet, durch das Auto privatisiert und der Öffentlichkeit entzogen.Aktuell sind zwar ohnehin sowohl Fahrbahnenals auch Fußwege noch relativ leer. Spätestens bis sich der Alltag – nach vorläufiger Prognose -ab dem 20.04.2020  wieder normalisieren soll, müssen jedoch Vorkehrungen getroffen werden, umausreichend öffentlichen Raum für Fuß, Rad und ÖPNV zur Verfügung zu stellen.

  • Was den Fußverkehr angeht, muss ab sofort dafür gesorgt werden, dass die Abstände auf den Fußwegen tatsächlich eingehalten werden können. Ansonsten schafft die Verwaltung sehenden Auges Zustände, in denen sich Ansteckung mangels Einhaltung der vorgeschriebenen Abstände nicht vermeiden lässt. Dafür muss sowohl das formell widerrechtliche als auch das trotz mangelnder Gehwegbreite angeordnete aufgesetzte Parken auf den Gehwegen in ganz Bremen beendet werden. Notfalls müssen Straßen komplett für den Kfz-Verkehr gesperrt werden.
  • Zudem dürfen die Kapazitäten des ÖPNV nicht weiter verringert werden. Im Gegenteil müssen sie nach dem Ende der strengen Ausgangsbeschränkungen zumindest für die Dauer der Infektionsgefahr so weit erhöht werden, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel unter Einhalten der Abstände jederzeit möglich ist. Nur dann können die Passagiere wieder Vertrauen in öffentliche Verkehrsmittel fassen. Und nur dann ist auch den EigentümerInnen von Kraftfahrzeugen zuzumuten, ihre Fahrzeuge auf zu schaffenden P&R-Plätzen in den Randbereichen der Stadt abzustellen.
  • Zusätzlich muss das Fahrradfahren durch unkomplizierte Ausweisung zusätzlicher Radwege (Beispiel: geschützte Radfahrstreifen) erleichtert werden.

[1]https://www.promobil.de/wohnmobil-produktion-corona-pandemie/

[2]https://www.theguardian.com/news/2020/mar/31/llandudno-goats-herd-running-riot-coronavirus-lockdown

[3]https://www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege/Verkehr-Zahlen-Daten-Berlin-Brandenburg-Stau-Fussgaenger.html

[4]https://www.theguardian.com/environment/bike-blog/2020/mar/20/why-not-encourage-cycling-during-the-coronavirus-lockdown

[5]https://bc.ctvnews.ca/vancouver-mulls-street-closures-to-make-physical-distancing-easier-for-pedestrians-1.4872205; https://livewirecalgary.com/2020/03/25/calgary-design-ideas-help-physical-distance-in-high-density-areas-during-coronavirus/

[6]https://ny.curbed.com/2020/3/23/21189966/coronavirus-new-york-streets-social-distancing-covid-19

[7]https://www.francebleu.fr/infos/sante-sciences/coronavirus-la-ville-de-paris-fermes-les-voies-sur-berge-de-la-seine-aux-pietons-1584714657

[8]https://wien.orf.at/stories/3041539/

[9]https://nyc.streetsblog.org/2020/03/30/op-ed-lets-build-a-network-of-quiet-streets/

[10]https://www.tagesspiegel.de/berlin/gefahr-fuer-leib-und-leben-auf-gehwegen-verband-empfiehlt-fussgaengern-die-strasse-polizei-widerspricht/25695934.html

[11]https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.915925.php

[12]https://www.morgenpost.de/berlin/article228841427/Wegen-Corona-Bezirke-wollen-Autospuren-zu-Radwegen-machen.html

[13]https://changing-cities.org/fairestrassen-petition-verkehrswende-ist-gesundheitsfuersorge/; https://www.duh.de/fahrradstrassen-jetzt/

[14]https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/bsag-corona-bus-bahn-bremen-100.html

8 Gedanken zu „Nach Corona – Zur Zukunft des öffentlichen Raums

  1. Vielen Dank,
    Guter Beitrag, schlüssig argumentiert.
    Es wäre schön ‚auf dem Laufenden‘ gehalten zu werden, wie es diesbezüglich in Bremen weitergeht.
    In Münster ist die Situation in einige Quartieren noch erheblich schlimmer, u.a. dadurch, dass das MS Ordnungsamt eine Dienstanweisung an die MitarbeiterInnen (schon vor Jahren) erlassen hat, nach der illegales Gehwegparken zu tolerieren sei, wenn noch eine Restbreite von 1 Meter zwischen Falschparker und Hauswand vorhanden bliebe.
    Wir überlegen hier ebenfalls eine Klage gegen die Stadt einzureichen.
    Gibt es in Bremen Informationen inwieweit hier Verfahrentsbeschleunigungen einforderbar sind?

    Begründung ‚Gefahr im Verzug‘, oder sowas in der Art?

    1. Hallo Herr Krückmann, herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Das Problem gibt es in vielen deutschen Städten. Auch aus Heidelberg habe ich eine entsprechende Rückmeldung bekommen. In das Verfahren in Bremen bin ich nicht direkt involviert, aber da ließe sich ein Kontakt herstellen, gerne über E-Mail an: olaf.dilling „at“ gmail.com. Unsere aktuellen Bemühungen, die Verwaltung auf die Probleme aufmerksam zu machen, waren bislang leider vergeblich. Insofern hoffen wir auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

  2. Ich möchte dem Beitrag gerne noch zwei aus der Perspektive „soziale Gerechtigkeit“ und „Teilhabe“ unterstützende Gesichtspunkte hinzufügen:

    Bereits 36% der Bremer Haushalte sind autolos, Tendenz steigend (Quelle: S. 7, Bericht der Verwaltung für die Sitzung der Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung, Energie und Landwirtschaft (S) am 17.08.2017). Die Angehörigen dieser Haushalte – mehr als ein Drittel der Haushalte im Lande Bremen!- sind somit darauf angewiesen, dass sie bei ihren täglichen Wegen auch ohne Auto den durch Corona gebotenen Abstand zu anderen Menschen halten können – gleich, ob sie sich zu Fuß, per Fahrrad oder per ÖPNV fortbewegen.

    Von Personen mit niedrigem Einkommen – dies sind die Personengruppen mit bis zu 1000 Euro Äquvalenz-Einkommen je Monat – nutzen lediglich 19% das Auto, sei es als Fahrer*in (11%) oder als Mitfahrende/r (8%) (Quelle: S. 18, am angegebenen Ort). Folglich MÜSSEN 81% dieser Personengruppe die Möglichkeiten des Umweltverbundes nutzen.

    Damit wird das Risiko, sich wegen unzureichender Abstände auf Gehwegen, auf Radwegen und in den Bussen und Bahnen des ÖPNV mit Corona-Viren zu infizieren, in besonderem Maße auf die ärmere Bevölkerung Bremens bzw. auf die aus ökologischen Gesichtspunkten bereits auf ein Auto verzichtenden Menschen abgewälzt.

    Eine Politik, die sich sozial sieht, muss m.E. diese Fakten ganz zentral in Ihren Maßnahmepaketen berücksichtigen.

  3. M.E. kommt dieser Beitrag zur richtigen Zeit und trifft genau ins Schwarze und er tut weh (den hunderttausenden Falschparkern), wann also wenn nicht jetzt muss man wachrütteln. Der civity Beitrag zur ÖPNV Entwicklung geht in eine ähnliche Richtung, er warnt vor dem Imageverlust des ÖPNV als „Virenschleuder“ Gewinner ist wie nicht anders zu erwarten der MIV. Nun müssen wir nicht glauben, dass wir damit alles und schnell ändern können. Das mit dem „Viren-Modus“ teile ich. Aber dass man da bezüglich des NMV einfach so drüber weggeht empfinde auch ich als skandalös.
    Danke für den Beitrag

    1. Hallo Herr Hamburger, herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Die Probleme, die für Fuß-, Fahrradverkehr und ÖPNV entstehen, sind jetzt schon evident und werden sich verstärken, wenn sich die Straßen wieder füllen. Aber die Krise bietet auch Chancen für Veränderung: Die leeren Straßen machen deutlich, wie groß der Anteil ist, der exklusiv Autos vorbehalten ist. In vielen Städten wie NY, Paris oder Wien, aber inzwischen auch Berlin und Frankfurt. Die Verwaltung schafft dort für Fuß- und Fahrradverkehr unbürokratisch Abhilfe. Auch Bremen sollte da mitgehen!

Kommentare sind geschlossen.