Einhundertachtzig Kilotonnen

Was kann das Radfahren tun, um den CO2-Ausstoß in Bremen zu reduzieren? Hier berechnen wir, was getan wurde, was nicht, und was in den nächsten zehn Jahren getan werden kann.

Da „Fridays for Future“ eine regelmäßige Präsenz auf den Straßen Bremens entwickelt, muss sich ein Verkehrswende-Blog wie Bremenize sicherlich fragen: Was kann das Radfahren als Reaktion auf die Klimakatastrophe bewirken? Verallgemeinerte Antworten auf diese Frage gibt es in der Welt des Radsports, unter besorgten Politikern, im neuen Bremer Koalitionsvertrag, aber auch unter den AktivistInnen von „Fridays for Future“ oder zumindest unter denen, die in einem Land mit Radkultur leben.

Aber jenseits von „Verkehrswende“ oder „Fahr mehr Rad“ sind die Details dünn. Ein Anstieg des Radverkehrs führt nicht zu einer Verringerung der CO2-Emissionen, wenn die Zunahme auf Kosten des Anteils der FußgängerInnen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln geht. Die Nutzung des Radverkehrs als Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels erfordert parallele Maßnahmen, um die Nutzung von Autos zu verhindern.

Das Problem

Es besteht Einigkeit darüber, dass, wenn wir eine Klimakatastrophe vermeiden wollen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 weltweit um 55 % gegenüber den Zahlen von 1990 reduziert werden müssen.

Bis 2050 muss die globale Industrie vollständig dekarbonisiert werden. Die Kohlendioxidemissionen tragen am meisten zur vom Menschen verursachten Erwärmung bei und sind daher einer der kritischsten Wegweiser. Nach einer scheinbaren Stabilisierung der globalen CO2-Emissionen zwischen 2012 und 2015 steigen sie wieder an, von 35 Gigatonnen im Jahr 2015 auf 37 Gigatonnen im Jahr 2018.

Europa schneidet besser ab als die meisten entwickelten Länder, aber auch hier verlangsamt sich der Fortschritt. Die Treibhausgasemissionen sinken, aber mit abnehmendem Tempo, gerade dann, wenn wir diesen Prozess dringend beschleunigen müssen. Schauen wir uns die Zahlen für die wichtigsten emittierenden Sektoren menschlicher Aktivitäten an, und wir sehen bald den Schuldigen. Die Treibhausgasemissionen in Europa sind seit 1990 um 23,5 % gesunken. In praktisch allen Sektoren sind die Emissionen in diesem Zeitraum gesunken – bei der Stromerzeugung um 30% zum Beispiel. Lediglich der Verkehrssektor verzeichnet einen Anstieg. Der Verkehr ist heute Europas größte Quelle für CO2-Emissionen.

Was in Europa tatsächlich geschieht, ist, dass andere Sektoren die schlechte Bilanz des Straßenverkehrs ausgleichen müssen. Es ist fast so, als ob der Aufwand, der zur Isolierung von Wohnungen, zur Installation von Solar- und Windenergiequellen und zur langsamen Umstellung der Landwirtschaft auf eine nachhaltigere Basis betrieben wird, im Straßenverkehrssektor völlig fehlt.

Bremens Antwort

Und was ist mit Bremen? Um die Situation unseres Bundeslandes besser zu verstehen, müssen wir uns unser Klimaschutz- und Energieprogramm 2020 („KEP“) ansehen. Es wurde ursprünglich im Jahr 2010 veröffentlicht und blickt auf 20 Jahre bis 1990 als Basisjahr und 10 Jahre bis 2020 als erstes Reduktionsziel zurück. Dies ist nützlich, da es das beinhaltet, was bis 2010 „bereits getan“ (oder nicht getan!) wurde. Das Programm zielte auf eine 40%ige Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2020 ab. Nirgendwo jedoch wurde im Dokument genau erklärt, warum diese Zahl 40% gewählt wurde. Darüber hinaus wurden in dieser Zahl die Stahlwerke am Weserufer nicht berücksichtigt. Im Jahr 2010 haben die Stahlwerke 45% der Gesamt-Bremer Emissionen erzeugt.

Das beste und konkreteste Szenario, das das KEP bieten konnte, war eine Reduzierung um 25,6%. Durch den Ausschluss der Stahlindustrie aus allen Berechnungen wurde diese auf 33% erhöht. Diese Ziele wurden jedoch bereits aufgegeben, wobei 13% bis 16% der Verringerungen wahrscheinlicher erscheinen.

In absoluten Zahlen emittierte das Land Bremen 1990 11.912 Kilotonnen CO2, ohne die Stahlindustrie 7.081 Kilotonnen. Das ehrgeizigste Ziel sah daher eine Reduzierung von 2.346 Kilotonnen ohne bzw. 3.045 Kilotonnen mit der Stahlindustrie bis 2020 vor. Mit Ausnahme von Stahl teilte das KEP diese Kürzungen in vier Sektoren auf – Industrie, Verkehr, Wohnen plus Dienstleistungen sowie Abfallbehandlung. Der rasante Anstieg der Abfallwirtschaft erforderte ein Wachstum der CO2-Emissionen dieses Sektors, das durch die Reduzierungen der anderen drei Sektoren ausgeglichen wurde. Erhofft wurden die folgenden Reduzierungen:

  • Industrie  -282 Kilotonnen (-23,3%)
  • Verkehr  -578 Kilotonnen (-31,7%)
  • Wohnen/Dienstleistungen  -1760 Kilotonnen (-45,9%)
  • Abfallwirtschaft  +274 Kilotonnen (+130,2%)

Wir wissen jetzt, dass diese Ziele nicht erreicht werden, aber wie wären diese 578 Kilotonnen im Verkehrssektor eingespart worden? Tatsächlich war bereits fast ein Drittel – 180 Kilotonnen – beim Schreiben des KEP eingespart worden. Kein Wunder, denn zwischen 1990 und 2008 stieg der Anteil des Radverkehrs in Bremen durch ein umfangreiches Programm zum Bau von Radwegen dramatisch an. Das KEP hoffte, dass sich dies bis 2020 fortsetzen würde. Ein Szenario, das in Anhang 2 des KEPs auf Seite 34 skizziert wird, sprach von einem „ehrgeizigen“ Fahrradprogramm, das über die Hälfte aller CO2-Reduktionen erbringen würde.

Aber der Modal-Split des Radsverkehrss ist nach 2010 ins Stocken geraten, da die Bremer Politik und Verwaltung VerkehrspolitikerInnen durch so genannte „Vehicular Cycling“ Ideen für den Radverkehr in die Irre geleitet wurden. Also, was machen wir jetzt?

Absolut gesehen betrugen die CO2-Emissionen Bremens aus allen Verkehrsträgern im Jahr 2015 rund 1.446 Kilotonnen. Der Modal-Split sah in etwa so aus:

Umschalten auf Fahrradfahren

Wie ist das Fahrrad im Vergleich zum Auto, wenn es um CO2 geht? Eine Bloggerin versuchte bereits 2015 eine Berechnung. Sie kam zu dem Schluss, dass eine FahrradfahrerIn, die durchschnittlich 2.700 Kilometer pro Jahr zurücklegt, 11 kg CO2 emittiert. Die Verwendung eines Autos für die gleichen Fahrten würde 430 kg ergeben. Fahrradfahren statt Autofahren bewirkt also eine jährliche Einsparung von 419 kg oder 15.518 kg pro 100 Kilometer. Auch eine neue Bremer Studie zum E-Bike-Pendeln des BUND Bremen ergab, dass durchschnittlich 17,76 Kilogramm pro 100 Kilometer gegenüber der Autonutzung eingespart wurden, allerdings ohne dabei das vom E-Bike selbst erzeugte CO2 (Stromverbrauch und Herstellung des Fahrrades) zu berücksichtigen. Die Zahlen der Online-Rechner für den CO2-Fußabdruck variieren je nach Jahrgang und Modell des Fahrzeugs von 8 bis über 30 kg/100 km. Die Zahlen unserer Bloggerin bilden einen angemessenen Durchschnitt ab. 

Wie viele Kilometer pro Tag?
Eine aktuelle Studie in Wien kam zu dem Schluss, dass auf 100 Autos auf der Straße 116 Personen befördert werden. Mit anderen Worten, die überwiegende Mehrheit der Autofahrten wird von Einzelpersonen durchgeführt. Die TU Dresden-Studie 2013 über ausgesuchte deutsche Städte schätzte insgesamt 541.000 Fahrten pro Tag mit dem Privatwagen in Bremen, von denen 66% oder 357.000 Fahrten unter 10 Kilometer lagen. Tatsächlich waren 39% (211.000) unter 5 Kilometer. Wenn man die durchschnittlichen Fahrten unter 5 Kilometern auf 3 Kilometern (70% sind über 2 Kilometer) und die Fahrten auf 7,5 Kilometern betrachtet, erhält man eine Schätzung der gefahrenen Kilometer:
Wege unter 5 km 211.000
Mal 3 km durchschnittlich ergibt 633.000 km
Ausflüge von 5 bis 10 km Länge 146.000
Mal 7,5 km durchschnittlich ergibt 1.095.000 km
Summe der Fahrten mit Auto unter 10 km 1.728.000 km
75% wechseln zum Radfahren 1.296.000 km
Wege von 10 bis 20 Kilometern 200.000
mal 15km im Durchschnitt ergibt 3.000.000.000kms
Summe der Fahrten mit dem Auto unter 20 km 4.728.000 km
75% wechseln zum Radfahren 3.546.000 km

26% der 1-2 km Fahrten in Bremen werden mit dem Auto durchgeführt, 42% der 2-5 km Fahrten. Es ist nicht schwer vorstellbar, dass die meisten davon auch per Rad durchgeführt werden könnten. Welcher Prozentsatz dieser motorisierten Reisen wird von Handwerkern durchgeführt, deren Ausrüstung zu voluminös ist, um in ein Cargo-Bike zu passen? Oder Menschen, die zu alt oder zu jung zum Radfahren sind? Oder so behindert, dass die Benutzung eines Fahrrads nicht möglich ist? Nach dem Bremer Verkehrsentwicklungsplan könnten diejenigen, die fit und in der Lage sind, auf das Fahrrad umzusteigen, also das so genannte „Fahrradpotenzial“, den Anteil des Radverkehrs um 16% erhöhen, damit den Bremer Radmodal-Split auf 40% erhöhen und ihn auf das Niveau von Kopenhagen bringen.

Betrachtet man die Zahlen für die Fahrzeit, so würde dies bei 90% aller Fahrten unter 10 km eine Verlagerung vom Auto auf das Fahrrad erfordern. Angesichts der wichtigen Rolle, die das Gehen für sehr kurze Wege und der öffentliche Verkehr für längere Fahrten spielt, ist ein Ziel von 75% realistischer, was zu einem modalen Anteil des Radverkehrs von 37% führt.

Aber was ist mit den längeren Fahrten? Neuere Studien unterstreichen das enorme Potenzial des Radverkehrs bei der Bewältigung von Fahrten zwischen 10 und 20 Kilometern, insbesondere angesichts der wachsenden Popularität von E-Bikes. Die TU Dresden-Studie 2013 schätzt diese auf 184.000 Fahrten pro Tag. Und es ist bekannt, dass die Zahlen wachsen. Eine konservative Schätzung für 2019 beziffert diese auf 200.000 Fahrten pro Tag oder mehr.

Wie unsere Berechnungen zeigen, bedeutet ein ehrgeiziges Ziel, nämlich 75% dieser Autofahrten auf Radfahren umzustellen, über 3,5 Mio. Kilometer pro Tag. Bei Anwendung der konservativen Berechnung unserer Bloggerin von 15.518 Kilo pro 100 Kilometer kommen wir auf 550 Tonnen täglich. Unter Berücksichtigung der Feiertage (Wochenendautofahrten können genauso umfangreich sein wie Wochentagsfahrten), kommen wir auf etwa 180 Kilotonnen pro Jahr.

Schauen wir uns nun die ursprünglichen KEP-Zahlen an. Bis 2005 wurden bereits 180 Kilotonnen CO2 durch die in den 90er Jahren umgesetzten Maßnahmen eingespart – in der Zeit nach dem starken Wachstum der Fahrradinfrastruktur. Die in KEP verankerte Vision war, dass dies so weitergehen würde. Die Vorstellung war, dass die Anzahl der FahrradfahrerInnen weit höher sein würden als die in den 80er Jahren, dass neue, bessere Fahrradwege gebaut, schnelle neue und autofreie Pendlerrouten entwickelt und der Straßenraum vom Auto- zum Radverkehr umverteilt werden würde. Weitere 180 Kilotonnen – 12% aller Verkehrsemissionen im Jahr 2015 – könnten allein durch diese Maßnahmen eingespart werden.

Leider ist dies nicht geschehen. Stattdessen haben wir das Phänomen der Fahrradstraße-lite, die Aufforderung an die Radfahrer, „die Fahrbahn mit dem Auto zu teilen“ und eine jährlich wachsende Zahl von Autozulassungen. Wir haben jetzt 10 Jahre Zeit, um zu der ursprünglichen Vision des KEP zurückzukehren. Zu einer Zeit, als bereits radikale Maßnahmen ergriffen waren, war das KEP eigentlich nichts anderes als ein Aufruf, die gute Arbeit fortzusetzen. Mit der neuen Bremer Rot-Grün-Roten Koalition und den zugesagten deutlichen Erhöhungen der Haushaltsmittel für den Radverkehr besteht die Hoffnung, dass zumindest ein Teil dieser 180 Kilotonnen eingespart wird, indem der Wechsel vom Auto auf das Fahrrad gefördert und damit erleichtert wird.